Das Problem der heutigen Filmplakate ist simpel: Theoretisch lässt sich mit Computern alles machen – aber trotzdem zeigen die Plakate nur Head Shots, bestehen aus bearbeiteten Fotos und haben, ausgerechnet im körperlichen Medium Kino, Ganzkörperdarstellungen ad acta gelegt. Das einzige Novum: künstliche Vintage-Effekte, die die Plakate dann im doppelten Sinn alt aussehen lassen.
Einen Polizisten mit Schreibblock dagegen auf einen Regenbogen setzen, wilde Verfolgungsjagden zeigen, auf denen alle Dargestellten im Hinter- und Vordergrund gleich scharf sind, eine riesige Faust in Richtung des Betrachters schleudern… das konnte vor allem einer: der italienische, am 26.10.1935 geborene Filmplakatkünstler Renato Casaro. Er malte bereits mit 21 Jahren in seinem eigenen Atelier in Rom, wo er in den 1970er Jahren zu einem der gefragtesten Künstler aufstieg – und mit seinen waghalsigen Kreationen das Filmplakat in die Neuzeit führte.
1984 brach der Autodidakt Richtung München auf, nicht zuletzt der Liebe wegen, und malte dann im Englischen Garten Klassiker wie „Es war einmal in Amerika“, „Die Reise ins Ich“, „Der mit dem Wolf tanzt“ oder die letzten Belmondo-, Hill-und-Spencer- und Celentano-Plakate. Früh stellte er im Gasteig aus und gestaltete viele Jahre die Plakate des Münchner Filmfests. Solang es ging, verteidigte er das europäische Kino gegen die High-Concept-Blockbuster Hollywoods mit relaxten, frei erfundenen Star-Posen, sparsam eingesetzten Airbrush-Effekten und der Art und Weise, wie er seine Figuren malte – nicht nur fotorealistisch, sondern auch sympathisch, warm, nahbar, leicht, schön, sexy.
Nach seinem vorerst letzten Plakat „Asterix & Obelix gegen Cäsar“ für Bernd Eichinger zog er mit seiner Frau Gabriele, die er über Jürgen Wohlrabes Jugendfilm-Verleih kennengelernt hatte, weiter nach Spanien, malte Afrikas Tierwelt oder die großen Stars der 1930er bis 1950er Jahre. Das Essener Folkwang-Museum zeigte 2012 Casaros Werke unter dem Titel „Gemalter Film“, als „Reise zu den Traumbildern unserer Jugend“, wie Thomas Hirsch es in diesem Heft so treffend schrieb. Casaros Heimatstadt Treviso spendierte ihm nach seiner Rückkehr aus Marbella 2021 eine riesige, multimediale Hommage. Dazwischen klingelte Quentin Tarantino bei ihm durch und Walter Bencini drehte über den Maestro die abendfüllende Doku „The Last Movie Painter: Renato Casaro“.
Am 26. Oktober wird Casaro 90 – und seine Plakate wirken frischer denn je und sind aus den Kinoschaufenstern auf die Hüllen der physischen Filmträger oder auch Thumbnails der Streaming- und Internetanbieter gewandert. Sie stehen für eine Zeit, in der ein Bild alles sagen musste und tatsächlich konnte. So etwas kann nur erreichen, wer ein großer Menschenkenner und -freund ist – und wer das Kino mit Haut und (Pinsel-)Haaren liebt.
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