Nach drei Jahren haben Lutz Nennmann und Meinolf Thies die Veranstaltung des 1990 gegründeten Kinofests Lünen in die Hände der Stadt gegeben, um mit der bisherigen Leiterin Sonja Hofmann und dem neuen Co-Leiter Nikolaj Nikitin nach so etwas wie Zukunft und Kontinuität zu suchen. Die zwei Kinomacher, die neben der Cineworld Lünen auch die beiden Lumen-Kinos in Solingen und Düren sowie die Hall-of-Fame-Kinos in Kamp-Lintfort und Osnabrück betreiben, machten aus den finanziellen Gründen für die Aufgabe des „Festivals für deutsche Filme“ keinen Hehl. Der Aufwand und Stress für ein Festival sind groß, die monetären Erträge gering.
Gleichzeitig muss man festhalten, dass Nennmann und Thies das Festival durch drei schwierige Jahre geführt haben. Die Zeit nach der Coronapandemie macht den Kinos und auch den Festivals weiterhin zu schaffen – gleichzeitig zerren veränderte Sehgewohnheiten massiv an den Kinobesucherzahlen und am Selbstverständnis des Erlebnisraums Kino. Weniger Blockbuster, zerfasernde Werbung und kleinteilige Programme verwandeln Kinobetreiber zwangsläufig in Manager, die aktiver denn je Zielgruppen ansprechen, Sonderprogramme kuratieren und Gäste einladen müssen. Das Publikum weiß immer weniger von aktuellen Filmen und stürzt sich lediglich auf Serien, Adaptionen und Sequels.
Das Kinofest Lünen, das unter seinen Erfinderinnen Elfriede Schmitt und Ute Teigler zur Institution wurde, versuchte in diesem Jahr folglich den Sommer-Spagat zwischen Kino und restlicher Stadtkultur, indem es Filme nicht nur in der Cineworld Lünen, sondern auch im Café Seepark und im Heinz-Hilpert-Theater präsentierte. Mit der Deutschlandpremiere „Vom Verschwinden des Josef Mengele“, mehreren NRW-Premieren, vier Hochschulprogrammen, einem unvermeidlichen „Tatort“ und bereits gestarteten Filmen wie „Was Marielle weiß“ oder „Petra Kelly: Act Now“, die von ihren Regisseurinnen nochmal persönlich vorgestellt wurden, gelang eine stimmige Übersicht über das aktuelle deutsche Filmangebot, die sich mit dem mittäglichen Auftritt Emil Steinbergers für die Schweizer Produktion „Typisch Emil“ auch in eine aktuelle Kinotour einklinkte. Der Hauptpreis des Festivals, die Lüdia, ging an Benjamin Krammes „Ich sterbe. Kommst du?“, der Ehrenpreis Nike an Ulrich Tukur.
Wie sehr dieser Sommer-Mix in den nächsten Jahren durchgehalten werden kann, wird letztlich von den Förderstrukturen abhängen – und auch davon, wie sehr Festivals wie das Kinofest weiter als vertrauensbildende (Struktur-)Maßnahme für die allgemeine Kinolandschaft wahrgenommen werden. Ein wichtiger Punkt ist und bleibt: Im Kino kommen die Menschen zusammen, um sich über andere Menschen und das Leben und dessen Möglichkeiten positiv auszutauschen.
Angesichts der Tatsache, dass Lünen früher über diverse Kinos wie das Astoria, das Deli, die Lichtburg oder das Palast-Kino verfügte, scheint es wichtiger denn je, Leuchtturmprojekte und eben Festivals zu haben, die neben dem täglichen Filmangebot in der Cineworld auch die anstoßen und erreichen, die das Kino zu selten auf dem Schirm haben, weil sie sich vor ihren Fernsehern und Computern einigeln. Für die tägliche Stadtkultur und -freude ist ein Festival wie das Kinofest Lünen deshalb sicher wichtiger als die Berlinale.
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