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Tim Isfort
Foto: Dino Kosjak

„Es geht um die reine Kunst, die auf der Bühne passiert‟

27. April 2017

Tim Isfort über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Moers Festivals – Festival 05/17

trailer: Herr Isfort, Sie hatten nur wenige Monate Zeit für die Vorbereitung des Moers Festivals. Genug, um den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden?
Tim Isfort:
Als Moerser kenne ich das Festival von klein auf an, und als interessierter Musiker habe ich es seit den 80er Jahren bewusst wahrgenommen. Darum weiß ich, was das Festival ausmacht. Ich finde gut, was mein Vorgänger Reiner Michalke in den letzten elf Jahren gemacht hat. Aber natürlich habe ich meine eigenen Vorstellungen. Es geht darum, der Idee von 1972 nachzuspüren, dem Gründungsjahr des Festivals. Die Frage lautet: Wie kann man die Faszination von damals ins Hier und Jetzt übersetzen? Natürlich, mit einer längeren Vorbereitung wäre manches geglückt, auf das wir nun verzichten müssen. Aber insgesamt bin ich total glücklich mit dem Programm.

Was macht die Idee von 1972 aus?
Ich behaupte nicht, ich hätte die Idee von Moers verstanden und umgesetzt. Das muss im Rückblick das Publikum entscheiden. 1972 gabe es schon einige arrivierte Jazzfestivals, die die neuesten Strömungen abbildeten. Hier in Moers hat man versucht, dagegen zu halten und mit den Erwartungen der Fachwelt und des Publikums zu spielen. Burkhard Hennen, der erste Festivalleiter, hat die Einstürzenden Neubauten dazugeholt, als für viele schon ausgemacht schien, dass Moers ein Free-Jazz-Festival ist. Er hat auch Musiker eingeladen, die sich nicht kannten, ließ sie zwei Tage proben und anschließend auf die Bühne. Das kann man ins Heute übersetzen. Wir haben Musiker, die so aufgeschlossen sind, sich hierauf einlassen. Dazu kommen Produktionen, die hier ihre Premiere feiern werden. So schaffen wir Räume für Zufälliges. Denn das Programm in der Festivalhalle hat einen Touch von Hochkultur. Alles ist schwarz, Sound und Licht sind High End. Alles ist hochprofessionell und befördert eine Erwartungshaltung. Das ist aber nebensächlich. Es geht vor allem um die Musik, um die reine Kunst, die auf der Bühne passiert.

Sie möchten das Festival den Bürgern von Moers wieder näherbringen. Wie machen Sie das?

Tim Isfort
Foto: Dino Kosjak
Zur Person:
Tim Isfort wuchs in Moers auf. Der studierte Kontrabassist arbeitet als Musiker und Produzent. Seit Dezember 2016 ist er Leiter des Moers Festivals, das 1972 als Internationales Festival für New Jazz gegründet wurde. Vom 2. bis 5. Juni findet es zum 46. Mal statt.

Einerseits hat man 1972 ein mutiges Ding hier hingesetzt, das für Provokation in der Stadt gesorgt hat. Die Klagen über Hippies oder Müllberge sind noch nicht vergessen. Andererseits bedauern viele Moerser heute, dass das Festival mit dem Umzug vom Freizeitpark in die Festivalhalle am Stadtrand seinen Charakter verloren hat. Das kritisierte Drumherum war wohl doch eine reizvolle Kulisse für den Sonntagsspaziergang. Zugespitzt: Früher war es für die Moerser eine Beziehung von Liebe und Hass. Heute ist es oft Gleichgültigkeit, weil das Festival kaum noch sichtbar ist. Darum wird ein Teil des Programms in der Stadt spielen. Der Auftritt der Swans, im Rahmen ihrer Abschiedstournee, wird ein tätlicher Angriff auf die Zuhörer. Sie sind bekannt für laute experimentelle Rockmusik, und in ihrem Vertrag steht: 120 Minuten und nicht unter 110 Dezibel. Es wird weh tun. Wir werden das ankündigen und Ohrstöpsel anbieten. Das wird sicher polarisieren, und manche Leute werden rausgehen. Darum bieten wir parallel auch ganz anderes an. In der Stadtkirche gibt es ein minimalistisches Elektro-Orgel-Konzert von Frank Stanzl.

Welche weiteren Künstler können das Spektrum des Festivals veranschaulichen?
Es kann der Hypervirtuose sein wie der Pianist Eric Lewis mit seinem ELEW Trio. Aufnahmen zeigen ihn in jungen Jahren in einem New Yorker Club. Er spielt links und rechts Arpeggien in verschiedenen Tempi, bringt den Schlagzeuger fast raus, ist auf einmal mit kraftvollen rhythmischen Einsätzen wieder da, hat logische Ideen. So jemand ist gesegnet, das kann man nicht üben oder erklären. Er hat zehn Jahre lang ein Rock-Jazz-Projekt gemacht, ist in einer amerikanischen Talentshow und im Weißen Haus vor Obama aufgetreten. Heute macht er wieder Jazz. Die belgische Punkband Cocaine Piss und die dänische Saxophonistin Mette Rasmussen treten zusammen auf. Für mich stehen beide für dieselbe authentische Energie und sie haben Lust auf das Experiment in Moers. Dabei kann was entstehen, das beide Parteien selbst überrascht. In Myanmar gibt es die Nat-Pwe-Zeremonie, eine Art Geisterkult. Ihn wird die Band Pantra Sein Hla Myaing vertreten. Die Musik hat die gleiche Kraft, die ich wahrnahm,als ich das erste Mal The Who oder Ornette Coleman hörte, obwohl das eine dem anderen überhaupt nicht ähnelt. Versuchsweise kann man es beschreiben als irgendetwas zwischen Dorfdisco und Therapie. Radio Kinshasa aus der Demokratischen Republik Kongo werden mit dem deutschen Musiker FM Einheit spielen. Wir werden erleben, ob das passt.


Battle Trance, Foto: Presse

Gibt es Schwerpunkte?
Die US-amerikanischen Szene ist stark vertreten. Da sind z.B. Battle Trance, vier Saxophonisten, die psychedelische, hymnenhafte Sounds spielen, die ich nicht mehr in Jazz verorten würde. Die früheren Morning-Sessions werden unter dem Namen Moers-Sessions verdoppelt, sodass es morgens und nachts je drei Veranstaltungen gibt, geleitet nach wie vor von Jan Klare. Die Sessions sind so eine Art Reinheitsgebot. Hier kommen die Musiker erstmals zusammen und sagen, bei der und der Session bin ich dabei. Das ist sehr intim und stärkt den ursprünglichen Gedanken von Moers. Jan Klare betreut auch den Schwerpunkt Flandern. Dazu gehört eine Klanginstallation des belgischen Trompeters Bart Maris während der vier Festivaltage.

Wie wird das Festival dokumentiert? Die TV-Sender Arte und WDR haben sich zurückgezogen.
Die beiden Sender sind leider gegangen, bevor wir, als neues Team, gekommen sind. Ich hätte sie sehr gerne dabei gehabt. Der Hörfunk ist dabei, das Konzert des Anthony Braxton ZIM Sextetts wird im WDR 3 live übertragen. Eine längere Vorbereitung wäre sehr hilfreich gewesen, um entsprechende Kontakte zu knüpfen. Es ist aber auch eine Chance, weil es neue Wege eröffnen könnte. Auf jeden Fall möchten wir auf unserer Homepage einen Stream anbieten, daran arbeiten wir noch. Eine Idee ist auch, eine Digitalversion des Festivals zu machen, bei der Nutzer z.B. zwei Auftritte zusammen mischen können. Aber das schaffen wir in diesem Jahr nicht.

Wie steht es um die Zukunft des Festivals? Die Finanzierung steht seit Jahren infrage.
Ich hatte früher die große Sorge, dass das Festival für immer stirbt. Als das Angebot kam, die Leitung zu übernehmen, musste ich tief durchatmen. Die folgenden Gespräch waren aber so gut, dass wir schnell voran kamen. Der neue Geschäftsführer Claus Arndt und ich kennen uns aus Schulzeiten, haben früher zusammen Jazzrock gespielt. Bürgermeister Christoph Fleischhauer und Kulturdezernent Wolfgang Thoenes unterstützen uns von Anfang an. Das Festival ist gesichert. Wir haben kleinere Einschnitte, manche Partnerschaft entfällt, mache Förderung fällt geringer aus. Das ist alles verschmerzbar. Wir schauen sehr genau, was verzichtbar ist. Müssen es die teuren Hotels oder die neuesten Scheinwerfer sein? Mit vielen Künstlern spreche ich auf einer sehr persönlichen Ebene und bitte um Hilfe, den anarchischen Geist zu beleben. Sobald Zeit ist, möchten wir uns um weitere Kooperationen kümmern, Projekte mit Schülern, mit Kunst – es gibt vieles, was noch nicht versucht wurde. Ganz wesentlich ist, das Vertrauen in der Stadt wiederzugewinnen. Frisör, Imbiss oder Buchladen – die bekommen das Angebot, ihre Räume Künstlern zur Verfügung zu stellen, gerne auch während des Betriebs. Dann gibt es zum Haarschnitt einen Saxophonisten. Das sind viele Einzelgespräche, mit denen wir den Moersern die Möglichkeit geben, das Festival wieder zu ihrem Festival zu machen. Nicht zuletzt das Festivaldorf soll die Menschen einbeziehen, sei es durch den Druck eigener T-Shirts oder durch einen Fotoautomaten, der gemalte Porträts ausspuckt. Da drin sitzen nämlich zwei Künstlerinnen, die ein Schnellporträt zeichnen. Wer selber Ideen hat, läuft bei uns offene Türen ein.

Was ist Ihnen besonders wichtig?
Auf längere Sicht sollen sich die Festivalbereiche außerhalb und innerhalb der Stadt verbinden. Die Wegstrecken sollen keine Zumutung sein, sondern etwas bieten. Es wird Kunst und Konzerte im Park geben, im Wohngebiet vielleicht kleinere Flashmobs. Wir brauchen einen Dorfplatz, an dem man sich versammeln kann und der auch Kindern etwas bietet. Selbst, wenn man als Moerser kein Ticket kauft, muss es trotzdem ein Highlight sein, einmal im Jahr dieses Festival zu erleben.

moers festival 2017 | 2.-5.6. | Festivalhalle Moers | www.moers-festival.de

Interview: Dino Kosjak

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