Sich nicht auf ein Genre festzulegen und sich auch nicht auf einen Stil reduzieren zu lassen, rettete Alex Clare vor drei Jahren vor dem finanziellen Ruin. Nachdem sein Album „The Lateness of the Hour" floppte, das auch seine bekanntesten Hits „Too Close“ und „Treading Water“ beinhaltet, wurde er von seinem Label Island Records fallengelassen. Zum Glück stand Aufgeben für den Londoner aber nie zur Debatte, und im März 2012 erhielt er einen Anruf von seinem Management. „Du musst sofort nach Deutschland kommen“, hieß es, „hier wirst du die Nummer Eins sein.“
„Too Close“ erfuhr großen Erfolg in Europa und Amerika durch mehrere Werbespots für den Windows Internet Explorer 9. Am meisten gefeiert wurde die Single jedoch in Deutschland, wo Alex Clare wie versprochen auf Platz Eins der Charts kletterte. Die Mischung macht’s – „Too Close“ beinhaltet Soul, Alternative Rock und Dubstep. Letzterer Musikrichtung verhalf Clare sogar zu einem wahren Trend. Damit gerechnet hatte der Singer-Songwriter zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Aufgegeben hätte er aber auch ohne den plötzlichen Erfolg nicht. „Du machst einfach weiter Musik“, so Clare. „Musik zu machen ist nicht das Schwierigste. Die Leute zum Zuhören zu bewegen ist es.“
Heute kann Alex Clare einen entspannteren Lebensstil führen und muss nicht mehr von der Hand in den Mund leben. Sein Konzert in der Turbinenhalle gab er am 21. Januar dennoch reduziert und stellte sich auf die Bühne mit Mikrofon und Akustikgitarre, ohne Synthesizer und Bass. Alex Clare ohne große Bühnenshow und aufwendige Effekte – das kam gut an.
Aus zwei geplanten Vorbands wurde ein Support-Act, Saint James aus London, der schon vor Beginn des Konzertes unerkannt durch die Zuschauerreihen spazierte. Allzu groß war die Gefahr bemerkt zu werden ohnehin nicht – die Halle war mit knapp 300 Besuchern erschreckend leer. Der britische Nachwuchsrapper betrat die Bühne, auf der er seinen Laptop platziert hatte, mit legerer Kleidung und hängenden Schultern. Vielen wurde erst klar, dass dies kein Roadie war, als er mit einem schüchternen „Hallo“ auf sich aufmerksam machte. Der Mangel an Bühnenerfahrung und -präsenz blieb dem Publikum nicht verborgen; die Begeisterung hielt sich in Grenzen.
Leider konnte Saint James den ersten Eindruck in seinem 20-minütigen Zeitrahmen nicht korrigieren. Im Hintergrund spielte er auf dem Laptop vorproduzierte Beats ab, die handwerklich gar nicht übel waren, jedoch schon nach kurzer Zeit eintönig klangen und an Abwechslung zu wünschen übrig ließen. Dazu rappte er clevere Texte mit monotoner Stimme und schien zeitweise lediglich zur Musik zu sprechen. Der Mikrofonständer hielt Saint James an einer Stelle – Bewegung? Fehlanzeige. Aber genau das hätte seinem Auftritt gut getan, denn in eingefallener Haltung versteckte er sich hinter dem Mikrofon und wirkte recht verloren im Scheinwerferlicht. Mit mehr Publikumsinteraktion und einem offeneren Auftreten hätte er seine Nachricht vielleicht an das Publikum übermitteln können. So wurde sein Auftritt geduldet, aber nicht gefeiert. Am meisten Applaus bekam Saint James für einige witzige, jedoch unbeholfene Ansagen zwischen den Songs.
Gute vierzig Minuten vergingen zwischen dem ersten Auftritt und dem Beginn des eigentlichen Konzertes. Als es dann doch losging, stand Alex Clare nicht allein auf der Bühne, sondern wurde wieder von Saint James unterstützt – diesmal am Cocktail-Schlagzeug. Gemeinsam mit der Akustikgitarre bildete es die einzige Instrumentalbegleitung an diesem Abend. Doch Alex Clares Songs können auch ohne viel Instrumentalisierung begeistern, das bewies er hier. Ruhige Gitarrenklänge und reduzierte Rhythmen gaben den sonst so episch anmutenden Liedern einen ganz eigenen Klang, durch den Clares Stimme viel stärker zur Geltung kam. Kein Ton lag daneben, und mit viel Gefühl berührte der Sänger seine Fans. Gekonnt kreierte das Duo variierte Rhythmen und Melodien, und hinter dem kleinen Schlagzeug überzeugte Saint James deutlich mehr, als er es als Hauptdarsteller getan hatte.
Clare spielte Lieder aus seinem aktuellen Album „Three Hearts“ und gab zu, dass er einige erst vor wenigen Tagen das erste Mal auf der Gitarre gespielt hatte. Mit Witz und Charme hatte er das Publikum gleich auf seiner Seite. In leisen Momenten bewies er sich als ausgezeichneter Sänger mit lauter, emotionaler Stimme. Die weitgehend leere Bühne nahm er auch ohne große Show für sich ein, und bereitwillig klatschte und sang das Publikum mit. Clare bescherte den Besuchern einen gefühlvollen Kuschelabend ohne Enge und Schwitzen, denn jeder hatte ja genug Platz um sich. Dies war zwar sicherlich anders geplant gewesen; allerdings verlieh diese Situation dem Auftritt eine einzigartige Atmosphäre und machte den Abend zu einem intimen, fast persönlichen Treffen zwischen Alex Clare und seinen Fans.
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