Und während Hamlet da steht auf blütenweißer Flur, und erkennt, dass in ihm mehr als nur der bloße Schein steckt, da schaut Sandra Hüller aus, als würde ein Kind die ganze Welt neu entdecken und in ihr die vielen Gespenster, die sie vernebeln. Sie ist der Dänenprinz und sie will am Bochumer Schauspielhaus auch eine (Hamlet-)Maschine sein. Wenn sie das neue Königspaar im Palast verstört und anschließend Ophelia keck ein Stück Text stiehlt, schon da ist sie der unumstrittene Star der Inszenierung von Intendant Johan Simons, die mehr eine Figurenkonstellation mitten in einer Installation aus Lichtkugel und Kupferplatte ist. Alchemistisch steht das Metall, das sich künstlerisch perfekt auch für Vervielfältigungen eignet, selbst für das Weibliche. Die rötliche Wand wird sich von Beginn an um die Handlung drehen, in der der Geist des ermordeten Vaters, in Hamlet selbst manifestiert und den eigenen Exorzismus als Rachefeldzug fordert. Doch der ist mehr mit der Suche beschäftigt, mit dem Finden der eigenen Fassung, vom Geschehen und seiner selbst. Ziemlich seziert inszeniert Simons die Geschichte, Klangkunst (Mieko Suzuki), die Bühneninstallation von Johannes Schütz, aber auch die Lichtregie nehmen viel Platz ein, die Schauspieler sind wunderbar gesetzt. Ein wahres Highlight ist die schlichte Dauerpräsenz des Totengräbers (Ann Göbel) mit dem Dauerschleifenzentralsatz: „Er ist allein.“
Diesen Zustand bewegt und setzt Sandra Hüller wunderbar bis in die Bewegungslosigkeit. Allein, verlassen, ohne Bestätigung der Untat, anfangs frei von Zynismus, aber klar in der Analyse führt die Spirale dennoch abwärts. Sound and Vision, auch Claudius (Stefan Hunstein) wird von den Geistern verfolgt, die er selber rief. Auch er darf sich immer wieder in die erste Reihe im Großen Haus zurückziehen, aus der sich die ganze Choreografie entwickelt. Mit dem ungeschickten ersten Mord an Polonius (Bernd Rademacher) setzt der Sog ein, der Hamlet verschlingen wird, den er aber partout nicht erkennen kann. Hüllers Prinz beobachtet die Szenerie ungläubig von außen, bleibt selbst in der Pause auf der Bühne, in der Rolle, beobachtet alle Bewegungen in den Reihen auf der Bühne. Was ist der Mensch – nicht „Sein oder nicht sein“, darüber ist Hamlet längst hinaus. Selbst die Frage nach Lebendigkeit oder Tod hat seine innere Bedeutung verloren.
Schwere silberne Metallkugeln ersetzen in der recht kurzen Totengräberszene die Schädel, Hamlet scheint die Richtung verloren, Begräbnis ohne Rituale, nein, es ist Ophelia – es war eine quirlige Geliebte, die Gina Haller da als Antipode zu Sandra Hüller, perfekt passend zum Bühnenobjekt und betont übertrieben auf die Bühne zauberte – und so lähmt dieser Tod zur Resignation weiter die Sprache, die Welt um Hamlet herum hat ihre Bedeutung verloren. Simons kreiert hier sehr starke Momente. Das „Fang an“-Duell mit Ophelias Bruder Laertes (Dominik Dos-Reis) ist keins mehr, die Figuren fallen wie Puppen ohne Faden, der Schluss wird erzählt. Ein moderner Fortinbras (Mourade Zeguendi) kommt aus Polen zurück, sein Handy hat anfangs Gelächter ausgelöst, jetzt muss er das Schlachtfeld säubern und beklagt die Welt, das Premierenpublikum erging sich anschließend in Jubelstürmen.
„Hamlet“ | R: Johan Simons | ausverkauft, Oktober-Karten ab 4.7. | Schauspielhaus Bochum | www.schauspielhausbochum.de
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