Sagt mal, von wo kommt Ihr denn her?
Aus dem Ruhrpott, bitte sehr.
Sehen alle da so aus wie Ihr?
Ja, die sehen so aus wie wir. (nach Abraham)
Saugen ist umsonst. Das gilt nicht nur für Neugeborene, auch in der Waschstraße ist das so. Langsam hebt sich dort gerade der Bügel millimetergenau über die Motorhaube und bläst mit Macht die letzten Tropfen vom Gefährt. Bremsen testen, raus aus dem Tunnel. Jetzt geht es draußen den Krümeln an den Kragen mit dem riesigen Plastikrohr, das auch verschlingt, was es eigentlich nicht verschlingen sollte. Die Park-Euros zum Beispiel. Beim Blick auf meine Radkappen bin ich ein wenig enttäuscht, hier hat die Waschmaschine offensichtlich versagt. Auch mein Nebenmann ist dabei, mit ganzer Energie seine Räder nachzupolieren, ist schließlich Alu, Speichenausgabe, sauber verchromt, das macht was her. Mir ist das bisschen Schmutz in den Rillen egal. Polieren, soweit kommt das noch.
Sind Alufelgen eigentlich auch Kultur? Personifiziertes Symbol für die Ästhetik einer Massenware? Mein Saugerohr fängt an zu zittern. Bereits am Wochenende stellte sich die Kulturfrage auf der A40. Überall Begeisterung, angeblich sind drei Millionen Menschen auf den Beinen. Ich war auch da und habe in die Fratze des seriellen Mittelmaßes geblickt. Ballermann am Bochumer Kreuz. Fließband-Kaffeekränzchen an Biertischen. 60 Kilometer lang, unterbrochen nur von diversen Klübchen, die in ihrer sonstigen Freizeit wohl dem amerikanischen Westerntanz oder diversen Brettspielen frönen. „Als Gäste kommen, als Kumpel gehen“ steht da auf einer Tischdecke. Ist Massenpicknick denn so toll? Oder geht es nur darum, einmal ins Fernsehen zu kommen? Das bringt uns zusammen? Das soll das Reagenz sein, „um uns als Metropole zu empfinden“ (Fritz Pleitgen). Nein, das ist die Nivellierung des Außergewöhnlichen, die Banalisierung von Kult und die Beweihräucherung einer ehemaligen Arbeiter-Kultur, die sich auch im Verzehr von Biermischgetränken (würg) langsam auflöst. Natürlich schafft man es mit diesem Event in die Tagesschau. Natürlich haben die Menschen Spaß an solchen einfachen Belustigungen, alle privaten Fernsehsender partizipieren mit ihren dümmlichen Programmen daran. Aber als Highlight einer europäischen Kulturhauptstadt? Was wäre, wenn unsere türkischen Freunde in Istanbul die Bosporusbrücke sperren würden, um dort Dönerbuden zu installieren? Damit würden sie immerhin kulinarisch zwei Kontinente trennen. Hier wird nur die Kaffeetafel von den Fahrradfahrern getrennt. Nach schlagender Verbindung und dem Dauerstress durch eine Ruhrie- Coverband bin ich von der Autobahn gewankt. Irgendwas klappert. Mist, die Marken für den Einkaufswagen sind endgültig weg. Ich fahre von der Waschstraße, mein ehemaliger Nebenmann poliert noch – sein riesiges aufgeschraubtes Endrohr. Heilige Scheiße, das ist wohl Hochkultur im Ruhrgebiet.
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