Als der Dude (Jeff Bridges) im digitalen Dschungel verschwand und dort nach einer Zukunft für die Menschheit forschte, stieß er (der Dude als Kevin Flynn) auf ein selbst geschriebenes Programm, das nach absoluter Perfektion strebte und dafür über Leichen gehen wollte. Dieser zugegeben Hollywood-like Ansatz (Tron2) hat viel, was der HMKV (HardwareMedienKunstVerein) im Dortmunder U gerade zur Ansicht stellt. Whistleblower und Vigilanten, wobei die Letzteren nach Autor David Kowalewski „zu den gewalttätigsten gesellschaftlichen Gruppierungen überhaupt“ gehören. Sie ummanteln ihre Kontroll-Phobie mit gesellschaftspolitischen Farcen oder schlimmer – systemstabilisierender Selbstjustiz. In der Ausstellung stehen hier einsam und allein der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik und Theodore John Kaczynski, bekannt als der Unabomber, wobei mir manche vigilante Systematik auch bei anderen Programmpunkten schlüssig erscheinen würde, bei der Gruppe Anonymous sicher nicht (oder nur als theoretisches Modell). Doch die Kuratoren Dr. Inke Arns (HMKV) und der Künstler und Kunsttheoretiker Jens Kabisch stellen lieber dietatsächlich und hauptsächlich offen handelnden Figuren des digitalen Widerstandes dagegen. Eines Widerstandes, der oft selbst im Grauen arbeitet, der nur dann von der Sonne beschienen wird, wenn er mediale Aufmerksamkeit erregen muss oder auch Furcht erzeugt, um Veränderung zu bewirken.
Leicht wird einem der Überblick nicht gemacht, zwischen den Leuchtfeuerräumen über Edward Snowden oder Julian Assange oder auch Chelsea Manning stehen auch Vitrinen, die über DDos und andere Werkzeuge im Digitalen Raum informieren oder dem Phänomen der „Cypherpunks“ nachspüren. Wenn es allzu schwierig wird, das Ganze geht auch interaktiv: Ein altes rotes Tastentelefon ist der direkte Einzahlen-Kontakt zu MitarbeiterInnen verschiedener Inlands- und Auslandsgeheimdiensten: „Call a Spy!“ heißt es. Aber Achtung! Wer den Hörer ergreift und die angegebene Telefonnummer wählt, sollte sich nicht erschrecken. Die Stimmen am anderen Ende sind echt. Eigentlich wollte das Berliner Kollektiv Peng! mit „Intelexit: Call-A-Spy“ aber NSA-, BND- und GCHQ-Mitarbeitern zum Berufsausstieg verhelfen.
Also könnte es sein, dass das Licht am Ende des Tunnels nur ein weiterer Tunnel ist. Beim israelischen Künstler Omer Fast verschwimmen die Grenzen zwischen Täter und Opfer. Sein 30-Minuten-Video „5.000 Feet is the Best“ (2011) zeigt die schweren psychischen Folgen für die Macher der tödlichen Drohnenangriffe. Der Film basiert auf einer aufgenommenen Unterhaltung des Künstlers mit dem Piloten einer US-Predator-Drone. Neben den Schilderungen über die technischen Aspekte Erzählungen über den Arbeitsalltag seines Berufes. Omer Fasts verwobene Narration überschreitet die Grenzen zwischen eigener und medialer Erzählung, hinterfragt auch die komplizierten Prozesse von Geschichtsschreibung. Eindrucksvoll im Video die Geschichte des Mannes, der in seinem Leben nichts wollte als eine US S-Bahn im Fahrplan zu fahren. Akribisch bereitete er sich darauf vor, fuhr perfekt einen ganzen Tag. Ein privater Vigilant?
„Whistleblower & Vigilanten. Figuren des digitalen Widerstands“ | bis 14.8.| HMKV Dortmunder U | 0231 496 64 20
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Bakterien passen sich schneller an neue Umgebungssitationen an“
Kuratorin Inke Arns über die neue Ausstellung des HMKV im Dortmunder U – Sammlung 03/23
Perspektiven auf die Gegenwart
Jana Kerima Stolzer & Lex Rütten im HMKV Dortmund
Mikroorganismen erzählen
„We grow“ im Dortmunder U
Keine Angst vor dem Mähroboter
„House of Mirrors“ im HMKV im Dortmunder U – Kunstwandel 05/22
Transformation der Moderne
„Technoschamanismus“ im Dortmunder U – Kunstwandel 12/21
Multimedialer Remix der Postmoderne
Tom McCarthys Ode an „The Pow(d)er of I Am Klick Klick Klick Klick and a very very bad bad musical“ im HMKV Dortmund – Kunst 07/21
Manchmal mussten die IMs selber ran
„Artists & Agents“ im Dortmunder HMKV – Kunstwandel 02/20
HAL 9000 ist eigentlich weiblich
Wilde „Computer Grrrls“ im Dortmunder HMKV – Kunstwandel 02/19
„Die Digitalisierung verstärkt die Vorurteile“
Inke Arns über ihre Ausstellung „Computer Grrrls“ im HMKV – Sammlung 11/18
Geheime Überwachung
Korpys/Löffler im HMKV in Dortmund – Ruhrkunst 08/18
Glaube verwässert Wissen
Forensik von Bildern im Dortmunder U – Kunstwandel 03/18
Von der afrikanischen Moderne
„Afro-Tech and the Future of Re-Invention“ im HMKV – Kunstwandel 12/17
Brechung und Abstraktion
„Die Befreiung der Form“ in Duisburg – Kunst 03/23
Steinewerfer auf der Leiter
Barbara Klemm in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen – Kunstwandel 03/23
Aus dem Eis
Video-Installationen aus Spitzbergen in Recklinghausen – Ruhrkunst 03/23
Erste Berührungen
Die Malerei von Vivian Greven in der Neuen Galerie Gladbeck – kunst & gut 03/23
„Es ist fast eine spirituelle Erfahrung“
Alain Bieber über Refik Anadol im Museum Kunstpalast – Sammlung 02/23
Das Rätsel des roten Steins
Inventur im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 02/23
Die Architektur von Licht
Hypersculptures im Zentrum für Internationale Lichtkunst – Kunstwandel 02/23
Das Leben von Innen
Martin Assig mit einem Werküberblick in der Küppersmühle – kunst & gut 02/23
Schütten statt Pinseln
Helen Frankenthaler im Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/23
Brieftauben und Vogelperspektiven
Norbert Kricke in Duisburg – kunst & gut 01/23
Sie macht ihre Reisen im Internet
Thomas Seelig über Daniela Comani im Museum Folkwang – Sammlung 01/23
Der heilige Gral des Spielzeugs
„Wonderwalls“ im NRW-Forum Düsseldorf – Kunstwandel 01/23