Werde ich träumen?
(HAL 9000)
Das „Raumschiff Orion“ im Schwarzweiß-Fernsehen war längst verdaut. Da kam dieser schwarze Monolith auf Zelluloid. Für uns junge Kinogänger war es 1969 die Science Fiction-Offenbarung. Und als der olle Bowman auf den splatterbunten Sternenritt zum Monolithen ging, raunte es im Union-Theater. „Der ist doch auf LSD“. Übereinstimmendes Nicken in der Dunkelheit. Nach dem Abspann folgte, was während der psychedelischen Lichtorgel noch niemand wusste: Keiner hatte das kryptische Ende verstanden. Endlose Diskussionen bis in die Morgenstunden, danach wurde das Buch von Arthur C. Clarke gelesen. Lösungen brachte es nicht. Mitten in den Summer of Love platzte damals dieser Film, den man – wie die Kulturhauptstadt heute – am besten unter pflanzlichen oder chemischen Hilfsmitteln überstand. Stanley Kubricks‘ Meisterwerk „Odyssee im Weltraum“ war damals tatsächlich Zukunftsmusik, 2001 zeigte sich, dass die Menschheit technisch längst noch nicht so weit war, die Probleme auf dem Planeten aber noch hohe Übereinstimmungen zeigten. Rund 15 Jahre später gab es dann mit „2010“ eine Fortsetzung, die manche Fragen von damals klärte, aber beileibe nicht alle.
Nun haben wir das passende Jahr und dazu noch eine Odyssee quer durch die Region. Der olle Recke Odysseus als Sinnfigur für die untergegangene Industriekultur. Er ist einer von uns, der Nachbar von gegenüber, der kleine Pizzabäcker von nebenan. Dumm nur, dass diese Symbolik, die Arthur C. Clarke auch für „2001“ nutzte, hervorragend auf die Situation 2010 im Ruhrgebiet passt. Das Säuseln der Sirenen kennen die Opelarbeiter in Bochum ganz genau. Und in vielen anderen Kommunen üben sie schon mal den Waffengang mit dem humorlosen Etat-Zyklopen Polyphem. Und die Aussichten? Fragen wir nach bei Odysseus. „Nach vielen Mühen, allein und unbekannt wirst du auf fremdem Schiff heimkehren und nur Elend in deinem Hause vorfinden“ sprach Teiresias. Na toll. Wenn wenigstens der Wandel durch Kultur funktionieren würde. Doch nehmen wir ja in diesem erst Kontakt auf. Und starten mit dem Kulturraumschiff. Schlicht und stur wird das Programm jetzt durchgezogen. Da würde selbst das Superhirn HAL 9000 wieder verrückt werden und zur Sicherheit die Mission Europäische Kulturhauptstadt wieder auf Eis legen. Doch das hat ja Petrus längst für ihn erledigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass unser Ruhrgebiet zu einer zweiten Sonne der Kultur in Deutschland wird, bleibt weiterhin gering, die Möglichkeit, dass es zu einem für Kunst lebensfeindlichen Mond wird, steigt. Da bleibt irgendwie nur zu hoffen, dass demnächst ein paar schwarze Monolithe gefunden werden, die diese Entwicklung wieder in eine andere Richtung lenken. Was sagen unsere amerikanischen Freunde? Pleitgen spent the last three years planning a party. Genau. Und Odysseus setzt danach ganz schnell wieder die Segel.
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