Wie kann man etwas zeigen, das nicht sichtbar ist oder geheim bleiben soll – wie Atome oder Verrat? Dieser künstlerischen Herausforderung stellte sich Fabian Reimann, indem er sich auf die Fährte des deutschen Atomphysikers Klaus Fuchs begab und jahrelang dessen faszinierendes Leben erforschte. Fuchs hatte in den 1940er Jahren im US-amerikanischen Los Alamos an der Entwicklung der Atombombe mitgewirkt und den Sowjets Geheimpläne zugespielt. Ein Atomspion also – für die einen der gefährlichste Mann der Welt, für andere (auch für Fuchs selbst) ein unscheinbarer Ehrenmann, der als Kommunist für nukleares Gleichgewicht zwischen den Weltmächten sorgen wollte.
Dass das Thema aktuell so brisant werden könnte, ahnte bei der Ausstellungsplanung im Kunstverein niemand. Hier geht es nun nicht um Kriegsschrecken, sondern um Rätsel und Andeutung. 26 kleinformatige Frottagen zeigen die immer gleiche Schriftzeile „Klaus Fuchs 1911–1988“, weiß auf schwarz. Der Leipziger Künstler rieb sie von Fuchs’ Grabstein ab: Name und Lebensdaten als steinharte Fakten. Alles andere bleibt nebulös. Wer war dieser Mensch, der zu zahllosen Spionagefilmen, Romanen, Dokus und Biografien inspirierte? Mit Porträtfotos auf den Frottagen verwischt Reimann die Spuren: Sie zeigen Schauspieler, die Fuchs’ Rolle in Filmen verkörperten.
Auf kreuz und quer im Raum platzierten Schautafeln verdichtet und verrätselt der Künstler sein Sujet noch weiter. Um die Tafeln schlängeln sich Kugelgebilde und knotige Ketten, Zwitter aus Atommodell und Rosenkranz. Man blickt auf Zeitungsbilder, Textausschnitte, gestische Skizzen von Knäulen und Kringeln, auf Fotos von tischtennisspielenden Atomphysikern und Spionen mit zweifelhaften Absichten. Öffnungen zwischen den Tafeln geben verbindende Blickachsen frei. Formanalogien schaffen Zusammenhänge, lösen Assoziationsketten aus. Es entfaltet sich ein Spiel mit Elementen und Teilchen, Bildern und Bedeutungen, die bewusst vage bleiben. Reimanns „Raumessay“ will keine Wahrheiten zutage fördern, sondern im Ausstellungsraum als Angebot für Auge und Hirn eine kongeniale ästhetische Entsprechung für Nichtabbildbarkeiten schaffen. Für alle, die tiefer in die Materie einsteigen wollen, stellt er Begleitmaterialien bereit.
Fabian Reimann: Das Gewicht der Welt. Ein Raumessay | bis 15.5. | Kunstverein Ruhr | 0201 22 65 38
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Diplomatie kreativ
Ingo Günther im Kunstverein Ruhr in Essen – Ruhrkunst 02/24
Freundliche Kontaktaufnahme
Iván Argote im Dortmunder Kunstverein – kunst & gut 11/21
Im silbernen Käfig
Thomas Rentmeister im Kunstverein Ruhr in Essen – Ruhrkunst 07/19
Utopie und Verwüstung
„The Paradise Machine“ in Dortmund – Ruhrkunst 04/24
Ins Blaue
„Planet Ozean“ im Gasometer Oberhausen – Ruhrkunst 04/24
Intensive Blicke
Fotografin Annelise Kretschmer im MKK Dortmund – Ruhrkunst 03/24
Kultige Cover
Designagentur Hipgnosis in Oberhausen – Ruhrkunst 03/24
Unter unseren Füßen
Archäologie der Moderne im Ruhr Museum – Ruhrkunst 02/24
Ausdruck der Zeit
Expressionismus-Sammlung im Märkischen Museum Witten – Ruhrkunst 01/24
Visionen von Gemeinschaft
„Wir ist Zukunft“ im Essener Museum Folkwang – Ruhrkunst 01/24
Das bisschen Haushalt …
„Kochen Putzen Sorgen“ im Quadrat Bottrop – Ruhrkunst 12/23
Unorte im Fokus
„Die Stadt ist anderswo“ im Bochumer Museum unter Tage – Ruhrkunst 12/23
Konkret gemalt
„Colours and Lines in Motion“ in Gelsenkirchen – Ruhrkunst 11/23
Auf nach Phantásien!
Illustrationen zu Michael Endes Geschichten in Oberhausen – Ruhrkunst 10/23
Im Herzen des Bunkers
Marianne Berenhaut in Recklinghausen – Ruhrkunst 09/23
Zur Liebe
„love/love“im Künstlerhaus Dortmund – Ruhrkunst 09/23
Auf Zeitreise
„Ein Blick zurück“ im Lehmbruck Museum in Duisburg – Ruhrkunst 09/23
Wege der Landschaftsdarstellung
Sven Drühl in Oberhausen – Kunst 08/23
Futter fürs Bildgedächtnis
Pixelprojekt-Neuaufnahmen in Gelsenkirchen – Ruhrkunst 08/23
Subversive Geister
Nils Alix-Tabeling in Dortmund – Ruhrkunst 08/23
Digital natürlich
New Now Festival auf Kokerei Zollverein – Ruhrkunst 07/23
Tauchgänge
„Diving into Art“ in Bochum – Ruhrkunst 06/23
Kompatibel mit Museum
Rafaël Rozendaals NFTs in Essen – Ruhrkunst 05/23
Alle mal spielen!
Takako im Kunstmuseum Bochum – Ruhrkunst 05/23