Das Thema beschäftigt schon seit längerer Zeit die Kunst: Wie haben die digitalen Möglichkeiten die „klassische“ Malerei verändert? Sehen wir heute nicht anders als früher? Und gibt es jetzt nicht eine neue Vorstellung von der Oberfläche, die am Monitor in einer eigenen Schönheit unbegreiflich und virtuell ist, also nicht mehr mit dem Pinsel auf die Leinwand aufgetragen wird? Schon die Farbe als reale flüssige Substanz entfällt, der Gestus des Auftrags und die Faktur sind folglich keine Anliegen mehr. Das eine scheint damit das Gegenteil des anderen zu sein.
Und wenn wir das Digitale und seine Effekte nun wiederum in „echte“ Malerei überführen? Die Kunsthalle Recklinghausen präsentiert derzeit eine Ausstellung mit Malerei, welche so wirkt, als sei sie digital gewonnen, oder jedenfalls einzelne Motive des Digitalen und des „handfest“ Malerischen aufgreift. Kuratiert von den beiden in Köln ansässigen Malern Claudia Desgranges und Friedhelm Falke. Die eingeladenen Künstler vertreten jeweils mit mehreren Werken Positionen zwischen der konventionellen stofflichen Malerei, einer reduzierten, quasi ausschnitthaften Malerei und der Erweiterung ins plastisch Räumliche. Mitunter sprengt die Ausstellung in Recklinghausen den Rahmen des Themas. Aber sie demonstriert in ihrer Gesamtheit, dass der Malerei-Begriff heute umfassender zu verstehen ist als noch vor zwanzig Jahren.
Vielleicht am anschaulichsten kommt dies in den querformatigen Malereien von Volker Wevers zum Ausdruck. Sie hängen gleich im Erdgeschoss. Wevers' Gemälde gehen von digital bearbeiteten Aufnahmen aus. Farbverläufe fließen und verschieben sich, wobei verschiedene Ansichten übereinander geblendet scheinen und Lichteffekte noch auf chromglänzende Oberflächen weisen. Konträr zu dem Technoiden der Motivik, dem „Leckeren“ der Buntheit und der verschachtelten Perspektive, behauptet sich die Malerei als sinnliches Erlebnis mit Ölfarbe auf Leinwand. Schon diese Bilder muss man im Original, also in der Ausstellung sehen, wo ihre Stumpfheit erst wie eine Enttäuschung wirkt und dann aber die Möglichkeiten der Malerei feiert.
Ein Plädoyer für die Substanz der Malerei liefert Rainer Splitt. Er macht die Farbe „dingfest“, etwa indem er Aluminium-Tafeln in sie taucht und diese dann ausstellt oder indem er Farbmaterie als eine riesige flache Skulptur gießt und in den Ausstellungsraum legt. Sein Beitrag wird zur Behauptung, dass Farbe eben nicht immateriell ist, sondern ihre eigene „reale“ Wirklichkeit besitzt und damit augenblicklich an eine Form gebunden ist.
Den „Schulterschluss“ mit der Anmutung des Digitalen vollzieht wiederum Paul Schwer. Schwer hat Malerei studiert und diese selbst lange praktiziert, ehe er über den Farbauftrag auf transparenten Leinwänden allmählich den Raum und die Leuchtkraft der Farbe für sich entdeckt hat. In Recklinghausen zeigt er – neben einer geglückten Installation mit Neonlicht – seine dreidimensionalen, aus Kunststoff verformten „Boas“, die vielleicht wie Quallen in der Tiefsee anmuten. Sie verschränken die auf dem transparenten Glas von Hand aufgetragenen Farben und verleihen den Erscheinungen etwas Unbegreifliches und Entrücktes.
Neben den insgesamt zwölf malerischen Positionen, sind noch vier Videoarbeiten zu sehen, die das Verhältnis von Wirklichkeit und Künstlichkeit mit den Mitteln des Digitalen unterschiedlich demonstrieren und so weiter die Problematik – und die neuen Möglichkeiten digitaler Gestaltung – veranschaulichen: Für das Verständnis der Ausstellung sind sie ein Gewinn und ohnehin ein Vergnügen. Übrigens ist eine weitere Ergänzung zur Schau in Recklinghausen derzeit im Kunstverein Mönchengladbach zu sehen. Hier stellen bis 4.5. Claudia Desgranges und Paul Schwer zusammen aus, frei von einer thematischen Gebundenheit. Es gibt tatsächlich viele Wege, sich diesen Künstlern und ihren Werken zu nähern.
„re:set – Abstrakte Malerei in einer digitalen Welt“ | bis 13.4. | Kunsthalle Recklinghausen | 02361 50 19 35
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