Mit viel Tamtam wurde „Syro“, das neue Album von Aphex Twin angekündigt. Erst wurde ein Zeppelin über London gesichtet, dann Graffitis in New York und schließlich eine dubiose Webseite mit nichts als Artwork und Tracklist. Nun ist es da, und man hat ob der in die Höhe geschraubten Erwartungen ein wenig Angst. Aber … Glück gehabt: Kein Hochkultur-trifft-Techno-Quatsch mit Orchester und großem Pipapo. Richard D. James löst das Problem der Aktualisierung mit einem luftigen Rundumschlag: Schöne Melodien, Beatgeschredder, coole Sounds und Klavier formen sich zu einem verspielten, aber nicht prätentiösen, extrem vielteiligen Album (Warp). Kindliche Spielfreude auch hier – allerdings wirklich von Kindern: Felix Kubin und Stefan Mohr alias „Die Egozentrischen 2“ haben Anfang der 80er Jahre mit ihren Sandkastenfreunden eine Clique angeführt, die auf „Wir triumphieren – Bergedorfs Kinderbandszene 1982-85“ zu hören ist. Zwischen 9 und 15 waren die Bengel alt, die elektronische New Wave fabrizierten, die quietscht, stolpert und mit Synthesizern rumpelt. So was ist sonst nur von dem 14-jährigen Alex Hacke dokumentiert. Coole Kinderzimmerproductions, die stilecht als Audiocassette plus Download-Code erscheinen (Gagarin). Noch eine Ausgrabung: Marc Hollander war der Impresario einer kleinen belgischen New Wave-Szene. Zunächst mit Aksak Maboul, dann mit den Honeymoon Killer und im Folgenden mit seinem Label Crammed Disk hat er Musikgeschichte geschrieben. Das dritte Aksak Maboul-Album mit der Honeymoon Killers-Sängerin Véronique Vincent ist nie erschienen, obwohl es fast fertig war. Nun finden die Originalaufnahmen aus den Jahren 1980-83 unter dem Titel „Ex-Futur Album“ doch noch an die Öffentlichkeit. Die zehn Stücke plus zwei Live-Versionen und ein Remix bieten eine verführerische Mischung aus Electro-Pop, Chanson, New Wave und Proto-House (Crammed Disc).
Die Peaking Lights sind ein Familienbetrieb: Das Duo setzt sich aus dem Ehepaar Aaron Coyes und Indra Dunis zusammen, auf ihrem letzten Album sang auch ihr Sohn Mikko. Letztes Jahr wurde der zweite Sohn Marlon geboren, der sicher schon auf seinen ersten Einsatz wartet. Zur Musik: „Cosmic Logic“ bietet knackigen Mutant Disco, minimalistischen New Wave-Electro oder Indie-Vocal House mit Afro-Adaptionen. Das erinnert mitunter an den Tom Tom Club und Artverwandtes, steht mit seiner klaren, fast cleanen Produktion aber auch fest im Hier und Jetzt (Domino). Burnt Friedman arbeitet weiter an seinem ganz eigenen Kosmos: Zusammen mit dem Opernsänger, Komponisten und Schauspieler Daniel Dodd-Ellis erwächst auf dem Album „Cease to Matter“ etwas, das Jon Hassells Idee der Fourth World Music wohl recht nahekommt: afrikanische Rhythmen, Krautrock, Jazz, Dub und Elektronik werden zu einem dichten Gewebe (Nonplace).
Archive und kein Ende: Der außerirdische Jazzmusiker Sun Ra wurde vor 100 Jahren geboren – wahrscheinlich auf dem Saturn. 1993 hat er die Erde wieder verlassen. Das langjährige Mitglied des Sun Ra Arkestra Marshall Allen verwaltet seitdem als Bandleader sein Erbe und hat auch die Auswahl für die Jubiläums-Compilation „In the Orbit of Ra“ getroffen. Die 20 Stücke aus den 60ern, 70ern und 80ern spiegeln alle Seiten des Exzentrikers – vom Blues über Swing zu Free Jazz, Vocal Jazz, Standards und elektrifizierten Neuschöpfungen. Dass Sun Ra eine weite Umlaufbahn hatte, bezeugt die Doppel-CD eindrucksvoll (Strut).
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