Der Titel des neuen Deichkind-Albums ist großartig: „Niveau Weshalb Warum“ bringt ihre spaßige Stumpf-ist-Trumpf-Attitüde bestens auf den Punkt. Die Textzeile entstammt ihrer Anti-WM-Anti-Nationalisten-Single „Ich habe eine Fahne“. Im Vergleich zu dieser Trap-Bombe fällt das aktuelle Album allerdings etwas ab: Auf dem Opener „So’ne Musik“ wummst der Bass in bester Deichkind-Prollmanier noch, und das Titelstück sowie einige andere Tracks bollern ebenso gut mit Ghetto-Tech-Anleihen. Und textlich regiert nach wie vor ihr politisch korrekt-besoffener Unfug. Aber immer wieder ist der musikalische Hintergrund doch etwas einfallslos geraten und erinnert eher an mediokren Techno oder Eurodance denn an advanced Bassmusik (Sultan Günther).
Das Karlsruher Kammerflimmer Kollektief beeindruckt auch auf seinem zehnten Album „Désarroi“ mit einer ganz eigenen, organischen Mischung aus Rhythmen und Sounds. Zwischen groovenden Improvisationen, Free Jazz, Rock und Electronica – mit Schlagzeug, Harmonium, Kontrabass, Gitarre und Synthesizern entsteht ein dynamisches Gewebe, aus dem sich immer wieder neue Strukturen herausschälen, Melodien aus Flächen erwachsen, sich Konturen wieder in Noise auflösen. Und mitunter wird sogar gesungen, wie in dem poetisch gegen den Strich interpretierten Deutschpunk-Klassiker „Zurück zum Beton“ von S.Y.P.H. – großartig (Staubgold). Viele sind sicher erst durch seinen Score für Jim Jarmuschs Vampirfilm „Only Lovers Left Alive“ auf Jozef van Wissem aufmerksam geworden. Seine Lautenmusik speist sich gleichermaßen aus Mittelalter und Minimal Music. Auf seinem neuen Album „It Is Time For You to Return“ spielt er außerdem wieder mit christlicher Mystik. Die ruhigen Lautenstücke werden mitunter von Gesang begleitet, zweimal kommt elektronisches Geknirsche zum Einsatz, und im Finale wird er von Jarmusch auf der Gitarre und Yasmine Hamdans Gesang, der bereits in „Only Lovers Left Alive“ zu hören war, begleitet (Crammed Discs). Marc Jacobs alias Prairie hat nichts mit dem gleichnamigen Modedesigner zu tun. Der in Brüssel lebende Künstler organisiert dort u.a. auch ein Filmfestival. So ist es vielleicht kein Zufall, dass die Assoziationen beim Hören seines Debütalbums „Like a Pack of Hounds“ schnell in Richtung Filmmusik gehen. Die instrumentalen Stücke wandern zwischen elektronischen Drones, die mit ihren erhaben-verzerrten Sounds an die Fuck Buttons erinnern, und analogem Geschrammel, das nicht minder an weite Landschaften erinnert (Shitkatapult).
Felix Kubin hat zuletzt eine Kassette mit Hamburger Kinderbands rund um sein eigenes Duo „Die egozentrischen 2“ veröffentlicht. Mit der Compilation „Science Fiction Park Bundesrepublik“ widmet er sich dem größeren Kontext der bundesdeutschen Kassettenszene in den 80er Jahren. 25 Stücke von Holger Hiller, Andy Giorbino, CHBB, Pyrolator und viele andere Projekte, die kaum (noch) jemandem bekannt sein dürften, sind hier versammelt. Klangcollagen, Minimal-Wave, NDW-Ableger und andere längst vergessene Experimente im Fahrwasser der New Wave werden hier ausgegraben. Das klingt mal extrem düster, mal sehr kindlich, mal streng, mal fröhlich – aber immer spannend. Man mag sich gar nicht vorstellen, was da an Schätzen auf alten Kassetten in Kleinstauflage noch zu bergen wäre. Ein dickes Booklet stellt die Protagonisten von einst vor (Zick Zack).
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.

Endlose Korallenmusik
Schwindelerregende Klangfantasien aus aller Welt – Kompakt Disk 09/18
Irgendwie alles psychedelisch
Bewusstseinserweiternder R‘n‘B, Hip-Hop, Afrobeat und Indie-Pop – Kompakt Disk 12/17
Hyperventilierender Pop
Artifizielle Klangnetze für eine reiche Gefühlspalette – Kompakt Disk 11/15
Dezenter Pathos
Neuerscheinungen jenseits der üblichen Pop-Pfade – Kompakt Disk 03/15
Mögliche Musiken
Querfeldeinkompositionen erschließen neue Klanglandschaften – Kompakt Disk 12/14
Archive im Hier und Jetzt
A wie Ausgrabung, Aktualisierung, Adaption und freie Assoziation – Kompakt Disk 10/14
Lieber nicht!
Musiker werden, Platten veröffentlichen – ist das immer eine gute Idee? – Kompakt Disk 08/14
Somnambule Leichtigkeit
Die Neuerscheinungen helfen, den fehlenden Frühling zu vergessen – Kompakt Disk 06/14
Gegenlicht-Pop
Vom Blinzeln in die Sonne bis zum feingliedrigen Beatstolpern – Kompakt Disk 05/14
Mal beschleunigt, mal entschleunigt
Von High-Speed House zu Slowmotion-Metal - Kompakt Disk 01/14
Vom Olymp in den Hades
Planet of Zeus in Bochums Trompete – Musik 11/25
„Liebe auf den ersten Blick“
Sebastian Lang-Lessing ist neuer Generalmusikdirektor am Theater Hagen – Interview 11/25
Fluxus trifft Free Jazz
Konzertreihe Klangbilder im Kunstmuseum Bochum – Musik 11/25
Zu den Wurzeln des Punk
11. Electri_City Conference in Düsseldorf – Musik 10/25
Alle Fenster auf
Brown Horse in der Haldern Pop Bar – Musik 10/25
Nicht mehr wegzudenken
Das Wuppertaler Jazzmeeting 2025 – Musik 10/25
Im Rausch der unerhörten Klänge
Beyond Dragons im Dortmunder Domicil – Musik 10/25
„Das Streichquartett in die Zukunft führen“
Der Geiger Daniel Stoll über die Residenz des Vision String Quartets in der Tonhalle Düsseldorf – Interview 10/25
Der Klang verwüsteter Hotelzimmer
4. Formosa Bierfest auf der Essener Zeche Carl – Musik 09/25
Zu Gast mit Gästen
Die WDR Big Band in der Wuppertaler Immanuelskirche – Musik 09/25
Bis das Regime gestürzt ist
Mina Richman im Bochumer Bahnhof Langendreer – Musik 09/25
Brachiale Schönheit
Gaye Su Akyol in Duisburg, Suzan Köcher's Suprafon in Dortmund – Musik 09/25
Ohne Grenzen
74. Ausgabe der Konzertreihe Soundtrips NRW – Musik 09/25
Freier Dialog im Depot
Visual Sound Outdoor Festival in der Dortmunder Parzelle – Musik 08/25
Der Sound von Istanbul
Gaye Su Akyol im Landschaftspark Duisburg-Nord – Musik 08/25