Die Detroiter Protomartyr gelten als Wiedergänger des Post Punk. Zu Recht werden zum Vergleich immer wieder Wire oder The Fall angeführt. Aber auf ihrem neuen, vierten Album „Relatives in Descent“ machen sie auch wieder klar, dass sie mit ihren wuchtigen Gitarren und melodischen Anflügen auch jenseits dieser Tradition auf eigenen Füßen stehen (Domino). Mit Dubstep hat das nichts zu tun, und auch ihr altes Etikett Post-Dubstep passt für das dritte Album des britischen Duos Mount Kimbie nun gar nicht mehr. Auf „Love What Survives“ findet man zwar Protagonisten des Post-Dubstep wie King Krule und James Blake als Sänger, der Sound liegt aber zwischen New Wave à la Cure, Shoegaze und afrikanischen Assoziationen. Ach ja, und gekrautrockt wird hier auch (Warp). Ghostpoet wird gerne mit Tricky assoziiert. Das wird sich auch auf dem vierten Album „Dark Days + Canapés“ nicht ändern. Sein Rap ist nah am Spoken-Word-Vortrag und auf eine etwas unheilschwangere Art entspannt. Musikalisch hat er sich immer mehr den analogen Instrumenten zugewendet, Gitarren schlieren sich aufbäumend um die Beats, die aber auch von einem analogen Schlagzeug kommen. Das Album strömt eine übernächtigte Stimmung aus, und noch ist nicht klar, ob der nächste Tag gut oder scheiße wird (PIAS).
Am 5. Oktober startet „Félicité“, der neue Film von Alain Gomis in den Kinos. Vorab ist er auf dem Afrika Film Festival Köln zu sehen. In diesem Kontext spielt am 3. Oktober mit den Kasai Allstars auch die Band, die für den Soundtrack verantwortlich ist. Und der erscheint pünktlich zum Filmstart auf CD: „Around Félicité“ vereint die drei Arvo-Pärt-Stücke, die das afrikanische Orchestre Symphonique Kimbanguiste im Film spielt und die dazu sehr kontrastreichen rauen, tribalistischen Stücke der Kasai Allstars. Auf einer zweiten CD gibt es Remixe von u.a. Daedelus und Africaine 808 (Crammed Discs). Die Compilation „Sweet As Broken Dates – Lost Somali Tapes from the Horn of Africa“ spürt der unter der jahrzehntelangen Diktatur entstandenen, dann aber verloren geglaubten Musik des Landes nach. So wie beim Ethio-Jazz des Nachbarlandes Äthiopien ist auch hier der Einfluss der nahe gelegenen arabischen Welt – Somalia ist ein muslimisches Land – hörbar, zum Beispiel in den vibrierenden Orgelflächen. Erstaunlich ist aber auch, dass hier durch die Lage am Indischen Ozean indische und asiatische Einflüsse sehr im Vordergrund stehen. Und das Ganze schwingt auch noch locker auf einem Reggae-ähnlichem Vibe. Großartige Entdeckung (Ostinato Records).
In den letzten Jahren gab es nicht nur tolle neue Platten, sondern auch einige kunstvolle Filme über Nick Cave. Reinhard Kleist liefert nun mit „Nick Cave – Mercy On Me“ eine ähnlich ambitionierte Biografie als Comic. Kleist, der bereits Comics über Elvis oder Johnny Cash realisiert hat, spürt der lebenden Legende, die selber viel zum eigenen Mythos beigetragen hat, in expressiven Szenen aus seinem Leben, seiner Bühnenpräsenz und auch seinen Song- und Romantexten auf über 300 Seiten nach. Während die Biografie in schwarzweiß gehalten ist, ist das zeitgleich erscheinende, großformatige Artbook „Nick Cave & The Bad Seeds“ teilweise farbig. Mit seinen vielen alternativen Szenen, Skizzen, illustrierten Songs und Kurzgeschichten ist es eine Art Making of oder Behind-the-Scenes zur Biografie, kann aber auch für sich stehen (beide Carlsen).
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