So ein Mist. Auf dem Weg zum RuhrMuseum goss es in Strömen, der Schirm lag wie immer zu Hause im Trockenen. Leicht derangiert und aufgeweicht eilte ich durch Design- und Baukultur, biologischen Skulpturen und real existierenden Schrott-Installationen der Kunst entgegen. Das Weltkulturerbe Zollverein in Essen ist eben ein Areal zwischen Solitärpflanzbesatz und nicht enden wollender Objets Trouves par excellence, und jetzt der Clou: Es beherbergt auch die längste Schuhputzanlage im Revier. Ein interaktives Kunstwerk der ellenlangen Rolltreppenmechanik, gepaart mit einer ebenso langen Bürstenvorrichtung, die, wenn man sie geschickt nutzt, auch das Schuhwerk designgerecht wieder aufpoliert. Alles in Aluminium und Kunststoff, visuell durchleuchtend und noch ohne Überwachungseinrichtung (denke ich). Penible Menschen müssen natürlich die rollenden Treppen in beide Richtungen befahren, was natürlich dazu führt, dass das Paar Lackschuhe sauber sind, sie selbst aber wieder im Regen stehen. Dafür können die Saubermänner dann natürlich den Reiz der weiten Tunnel-Perspektive viermal genießen, aber Achtung, es ist kaum möglich, diesen Aufgang zu nutzen, ohne auf digitalen Bildern selbst ernannter Ruhrgebiets-Fotodokumenteure aufzutauchen. Und die sind überall, denn unsere Region hat merkwürdige Kunstwerke auf jedem Hügel, der sich nur bietet. Die Frage, ob das immer Kunst ist, würde jetzt den Rahmen sprengen, deshalb sei nur angemerkt: Manches ist tatsächlich merkwürdig.
Ganz neu ist eine „Skulptur“ am Kamener Kreuz. Ein Highlight für alle Revierbesucher, die dort bekanntermaßen immer viel Zeit verbringen müssen. Und so geschah es, dass die Erinnerungskultur im Ruhrgebiet Myzele bildete, deren Hyphen jetzt diesen Hügel am Schnittpunkt zweier Autobahnen erreichten, und sich acht stählerne Engel herniederließen, um theatralisch einen gelben 1,8 Tonnen-Hubschrauber zu Grabe zu tragen. Das ist nicht nur Denkmalkultur vom Allerfeinsten, das ist auch ein Fanal für neue Wege in der Abfallentsorgung. Gepaart mit der Thematik „Sicherheit an Autobahnen“ denn dieser Rettungshelikopter „wacht“ nun als 7,5 Meter hohe Skulptur über den Verkehr. Zusätzlich soll er „die Monotonie des Fahrens durch Kunstobjekte unterbrechen und so die Wachsamkeit der Verkehrsteilnehmer erhöhen“ (kein Jux von Straßen-NRW). Dass es dieses Deko-Monstrum aus geschnittenen Zweizentimeter-Stahlplatten und einem Ensemble aus nicht mehr flugtauglichem Blech mit Kunststoff einmal in eine Kunst-Arche des 21. Jahrhundert schaffen wird, ist nicht anzunehmen, aber es wird meinen regelmäßigen Weg aus der polyzentrischen Metropole in die Bundeshauptstadt verändern. Nicht nur, dass meine visuelle Wahrnehmung getrübt wird, denn es ist ja nun darauf zu achten, dieses Ding nicht sehen zu müssen; es wird auch meine Gedanken darüber über mehrere hundert Kilometer vergiften, bis ich die kleine steinerne Bärenskulptur sehe.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Wem gehört die Ökosphäre?
Seminar „Die Rechte der Natur“ in der VHS Dortmund – Spezial 05/24
Außerhalb der Volksgemeinschaft
Vortrag über die Verfolgung homosexueller Männer in der NS-Zeit in Dortmund – Spezial 04/24
„Ruhrgebietsstory, die nicht von Zechen handelt“
Lisa Roy über ihren Debütroman und das soziale Gefälle in der Region – Über Tage 04/24
Unterschiedliche Erzählungen
Vortrag zur Geschichte des Nahostkonflikts in Bochum – Spezial 03/24
„Was im Ruhrgebiet passiert, steht im globalen Zusammenhang“
Die Dokumentarfilmer Ulrike Franke und Michael Loeken über den Strukturwandel – Über Tage 03/24
Geschichte der Ausbeutung
„Wie Europa Afrika unterentwickelte“ im Bochumer Bahnhof Langendreer – Spezial 02/24
„Einer muss ja in Oberhausen das Licht ausmachen“
Fußballfunktionär Hajo Sommers über Missstände im Ruhrgebiet – Über Tage 02/24
„Mir sind die Schattenseiten deutlicher aufgefallen“
Nora Bossongüber ihre Tätigkeit als Metropolenschreiberin Ruhr – Über Tage 01/24
„Hip-Hop hat im Ruhrgebiet eine höhere Erreichbarkeit als Theater“
Zekai Fenerci von Pottporus über Urbane Kultur in der Region – Über Tage 12/23
Suche nach Klimastrategien
Gespräch im Essener LeseRaum Akazienallee – Spezial 11/23
„Das Ruhrgebiet erscheint mir wie ein Brennglas der deutschen Verhältnisse“
Regisseur Benjamin Reding über das Ruhrgebiet als Drehort – Über Tage 11/23
„Kaum jemand kann vom Schreiben leben“
Iuditha Balint vom Fritz-Hüser-Institut über die Literatur der Arbeitswelt – Über Tage 10/23
Irrweg deutscher Migrationspolitik
„Blackbox Abschiebung“ in Düsseldorf – Spezial 09/23
„Es hat mich umgehauen, so etwas Exotisches im Ruhrgebiet zu sehen“
Fotograf Henning Christoph über Erfahrungen, die seine Arbeit geprägt haben – Über Tage 09/23
Diskursive Fronten überwinden
„Produktives Streiten“ in Mülheim – Spezial 08/23
Erinnern heißt Widerstand
Sommerfest des Fritz Bauer Forums in Bochum – spezial 08/23
„Man könnte es Stadtpsychologie nennen“
Alexander Estis ist für sechs Monate Stadtschreiber von Dortmund – Über Tage 08/23
Metaphern, Mechaniken, Meisterschaften
Offener Tag im Flipperverein Freeplay.ruhr in Herten – Spezial 07/23
Spaß an der Transformation
Gutes Klima Festival in Essen – Festival 07/23
Ich glaub‘, mein Sein pfeift
Vortrag über Mensch-Tier-Beziehung in Dortmund – Spezial 06/23
Abschottung gegen Schutzsuchende
Vortrag über die Fluchtsituation auf der Balkanroute in Duisburg – Spezial 06/23
„Für Start-ups sind die Chancen in Essen größer als in Berlin“
Unternehmer Reinhard Wiesemann über wirtschaftliche Chancen im Ruhrgebiet – Über Tage 06/23
Schwarze deutsche Feministinnen
Tiffany Florvil liest in Dortmund – Spezial 05/23
Wie Gefängnisse Kriminalität fördern
Rechtsanwalt Thomas Galli sprach in Bochum über Strafvollzug
„Radikale Therapien für die Innenstädte“
Christa Reicher über die mögliche Zukunft des Ruhrgebiets – Über Tage 05/23