Linker HipHop hat hierzulande lange Zeit ein Schattendasein geführt. Entweder fehlte es den Rappern der deutschsprachigen Szene an politischem Wissen und Willen und so kamen selbst Meister ihres Instruments wie Kool Savas, Kollegah oder Haftbefehl nicht weiter als zur Vertonung von Verschwörungstheorien. Oder der Rap kam direkt aus der linken Szene. Und der war nun einmal in aller Regel langweilig gerappt und musikalisch öde bis nichtssagend. Das war einmal. Jetzt gibt’s „Waving the Guns“.
Den Abend im Druckluft in Oberhausen beginnt mit einer dicken Bassline, drei kräftigen Kicks und endlich, wird wieder getreten. Gegen „esoterische Freaks“, besorgte Brandstifter und vor allen Dingen: in die einzig richtige Richtung, nämlich nach oben. Aber die fiesesten Tritte gehen nicht frontal in die Fresse, sondern treffen den imaginären Battlegegner fies von hinten: „Wir müssen sie nicht schlagen, damit sie ‘ne Abreibung kriegen/ Die Show heut Abend finanziert ‘ne Abtreibungsklinik.“ Eine schöne Provokation, denn wenn hier jemand Schnappatmung kriegt, wird es schon genau der oder die richtige sein. In Oberhausen jedenfalls gab es kaum jemanden im Publikum, der die Zeile nicht innbrünstig mitbrüllt.
Moment, imaginärer Battlegegner? Ganz genau, denn im Kern machen Waving the Guns nichts anderes als den oft verschmähten Battlerap: Sie erzählen keine Geschichten, sie schießen mit „Punchlines“ um sich. Intime Seeleneinblicke oder „Lieder über Liebe“ sucht man bei den Rostockern vergebens – sie arbeiten sich nicht an sich selbst ab, sondern an ihren Gegnern. Identität entsteht im Kampf. Und das passt.
Das HipHop-Leitmedium Juice hat das antifaschistische Trio aus dem Norden erst in ihrer jüngsten Ausgabe als Newcomer gewürdigt, anlässlich ihres jüngsten Albums „Eine Hand bricht die andere“. Tatsächlich sind Waving the Guns (WTG) schon seit 2013 unterwegs, 2015 nahm sie dann das rote Flaggschiff Audiolith unter Vertrag und schickte sie mit „Feine Sahne Fischfilet“ auf Tour, der jahrelang vom Verfassungsschutz beobachteten Punkband.
Vielleicht ist die Verwurzelung in der linken Szene auch der Grund, weshalb man Waving the Guns innerhalb der HipHop-Szene bis dato nicht kaum, sondern gar nicht gewürdigt hat. Nicht aus ideologischen Gründen, sondern musikalischen Vorurteilen: „Achso, mal wieder so ein linkes Zeckenrap-Agit-Hop-Projekt“. Dabei haben WTG ihre HipHop-Hausaufgaben gemacht: Die Beats entspringen deutscher Boom-Bap-Tradition à la HiHat-Club, Huss & Hodn und Konsorten. In ihren Texten zitieren die Rapper Milli Dance und Admiral Adonis Retrogott („Deutscher HipHop und die Bild-Zeitung zieh’n an einem Strang“), Marsimoto und sogar Westberlin Maskulin: Das Duo aus Taktloss und Kool Savas setzte Anfang der 2000er neue Maßstäbe in Sachen Kreativität, Technik (weit, weit oben) und politischer Korrektheit (weit, weit unten). Erst einmal seltsam, dass sich eine Crew, die sich gegen Homophobie und Sexismus wendet wie vermutlich kaum eine Gruppierung vor ihr, ausgerechnet diesem (zugegeben, sehr unterhaltsamen) Manifest der Menschenfeindlichkeit huldigt. Wenn sich WTG etwas von diesem skurrilen Berliner Vorbild abgeschaut haben, dann dies: Kompromisslosigkeit in Formvollendung. Und in diese Form setzen sie nun neue Inhalte. Fast ist es so, als wäre der junge Savas irgendwann zur Antifa gestoßen und niemals wack geworden. Aber ich komme ins Schwärmen...
Dem Publikum im Druckluft werden solche hiphophistorischen Verweise vermutlich nicht aufgefallen sein: Wie zu erwarten finden sich hier weniger die klassischen HipHop-Fans als Punks, Frauen und Männer mit Rastas und ein verpeiltes, bunt bemaltes Pärchen, das aussieht, als seien sie seit der letzten Goa-Party hier geblieben. K.I.Z. und die Antilopen Gang versammeln ein ähnliches Publikum um sich, aber musikalisch haben sie mit klassischem HipHop, der nur zwei Turntables und ein Mic braucht, nicht mehr viel zu schaffen (is’ ja auch gut so). Waving the Guns lassen hingegen längst vergessen geglaubte Tugenden wie Acapella-Performances und Live-Scratches wieder aufleben. Abgesehen davon rappen Milli Dance und Admiral Adonis auch live verdammt gut – das ist selbst in der Profi-Liga alles andere als selbstverständlich. Schade, dass das an der HipHop-Szene fast vollkommen vorbeigeht, wenn endlich wieder getreten wird. Aber wahrscheinlich hat man da schon längst vergessen, wie das geht ...
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