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Muntere Diskussionsrunde mit Rappern und Politikern
Fotos: Benjamin Trilling

Politikerverdrossen

24. Februar 2016

Rap vs. Politik am 23.2. in der Essener Weststadthalle

Ein Banker, ein Hartz4-Empfänger und ein Flüchtling sitzen am gleichen Tisch. Auf dem Tisch liegen 100 Kekse. Der Banker steckt sich 99 davon ein und sagt zum Hartz4-Empfänger: „Pass bloß auf, dass der Flüchtling dir nicht auch noch den Keks wegnimmt.“ Der Dortmunder Rapper Schlakks brachte nicht nur mit diesem Witz Systemkritik in die Podiumsdiskussion, die schnell zum kontroversen, verbalen Schlagabtausch zwischen Künstlern und Politikern wurde.

Zur Diskussionsrunde in der Weststadthalle hatte die Jugendhilfe Essen verschiedene Schulklassen eingeladen. Das Konzept: Die beiden Rapper Schlakks und Bülent Demirtas alias 2Seiten sowie die Essener Lokalpolitiker Benjamin Thomas (CDU) und Frank Müller (SPD) debattieren zu aktuellen politischen Themen wie der „Flüchtlingskrise“.

Als provokanter Einstieg wurde gleich das Musikvideo „Boom Boom Boom“ der HipHop-Kollegen K.I.Z. auf der Leinwand gezeigt. Im Anti-Pegida-Song heißt es unter anderem: „Vor der Glotze sauer auf die scheiß Sozialschmarotzer/ Anstatt auf den Chef, der mit dem Geld aus eurer Arbeit/ Seiner Tochter noch nen Lamborghini kauft.“ Harte Verse in polarisierenden Zeiten, in denen ein gesellschaftlicher Rechtsruck allgegenwärtig ist.

Sorgte für die philosophischen Perspektiven: Der Rapper und Poet 2Seiten (rechts)

Wie kann man die Situation wieder versachlicht werden?“, fragte Moderator Florian von Rheinberg anschließend die eingeladenen Lokalpolitiker. Denn die sind nicht nur in ihrer Stadt, sondern auch in den eigenen Reihen von der aktuellen asylpolitischen Debatte betroffen: So riefen etwa zuletzt mehrere Essener SPD-Ortsverbände unter dem Motto „Genug ist genug – Integration hat Grenzen!“ zur Demo gegen eine Flüchtlingsunterkunft auf. „Mir hat das nicht gefallen“, blickt Frank Müller von der SPD Essen zurück. „Der Weg war der falsche, aber es hat durchaus eine Diskussion ausgelöst.“ Mehr miteinander reden, so die Devise des Lokalpolitikers. Auch in den Reihen des Kollegen Benjamin Thomas von der CDU rumorte es zuletzt: Der Ortsverband in Essen-Frillendorf protestierte öffentlich gegen die geplanten Unterbringung von 1500 Flüchtlingen auf einem Verkehrsübungsplatz. Am Ende wurde die Zahl auch deutlich reduziert – zu Recht, wie Thomas findet: „400 ist die Maximalzahl. Mehr kann man da auch nicht integrieren. Ohne Frage!“ 

Kritischen Gehalt brachte dagegen die Rapper-Fraktion in die Diskussion ein: „Das ist ein Problem mit dem System., das sind meiner Meinung nach ganz andere Leute als Flüchtlinge, die uns das Geld wegnehmen.“, meinte der Künstler Schlakks, der die „Flüchtlingskrise“ mit einer gesellschaftskritischen Frage verband. „Probleme mit der sozialen Ungleichheit gibt es ja nicht nur in Essen, sondern auch in Dortmund. Überall geht die Schere zwischen arm und reich auseinander. Das ist einfach pervers“.

 

Ein üblicher „Politikerdiskurs“ wurde nicht hingenommen – auch nicht von den Jugendlichen: Eine Schülerin erzählte von einem Freund aus Guinea, dessen Eltern gestorben sind und der nun wieder in sein Herkunftsland muss: „Dort hat er aber keine Perspektiven. Warum muss er also zurück? So viel zum Thema ‚gute Flüchtlinge, schlechte Flüchtlinge’“, antwortete sie, als CDU-Lokalpolitiker Benjamin Thomas den Unterschied zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen aufmachen wollte.

 

Künstler und SchülerInnen retten das politische Niveau der Podiumsdiskussion. Keine Spur von oft beschworener Politikverdrossenheit unter Jugendlichen. Oder wie es der Rapper Blumio in einem Musikvideo, das ebenso auf der Leinwand gezeigt wurde, ausdrückt: „Ihr denkt an Zahlen, wir denken an Menschen. Ihr denkt an Profit, wir denken an Frieden, Freiheit, Hoffnung, Gerechtigkeit, Liebe. Wir sind nicht politik-, sondern Politikerverdrossen.“

 

Benjamin Trilling

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