Runter mit den CO2-Emissionen – aktuelle Schlüsselaufgabe vor allem in den Industriestaaten der Welt. Die stemmt man nicht allein mit der Umstellung der Energieerzeugung oder dem Umswitchen auf Elektromobile, die mit Sonnenstrom fahren. Ein ganz großer Anteil der Reduzierung muss im Gebäudebereich erfolgen, wobei Altbaubestände eine riesige Herausforderung darstellen. Aber auch im Neubau-Bereich werden die Standards laufend verbessert. Die Stadt Dortmund hat lokal eine Kampagne für 100 „Energie-plus-Häuser“ aufgelegt. Sie soll bis 2016 umgesetzt werden – und die ersten zehn Wohnhäuser stehen bereits.
Schon vor dem Jahreswechsel flatterten den Verbrauchern neue Strompreiserhöhungen in die Briefkästen. Zwar blieb in der Regel der eigentliche Arbeitspreis konstant, aber schon die Anpassung der EEG-Umlage sorgte dafür, dass elektrische Energie inzwischen 26 bis 28 Cent pro Kilowattstunde kostet. Gewitzte Bauherren in Dortmund verfügen seit einem Jahr über ein Instrument, ihre Kosten für Heizung und Hilfsenergie dauerhaft flach zu halten.
„Energie-plus-Haus 1000“ heißt der neue Standard in der östlichen Revier-Metropole, von dem Projektleiter Gerald Kampert behauptet, er sei kein national gültiges Label, sondern „rein dortmunderisch“. Hinter der Tiefstapelei verbirgt sich immerhin ein Gesamtkonzept, das den Energiebedarf für Heizung und Kühlkombi, Warmwasser und Waschmaschine, Toaster und TV, Leuchten und Lüftung abdeckt … und jährlich noch 1000 Kilowattstunden Überschuss produziert. Dabei griffen die Entwickler durchaus auf bewährte Bausteine wie den Passivhaus-Standard zurück. „Aber Passivhaus hört sich halt passiv an“, sagt Kampert, „wir wollten auch, dass es richtig Spaß macht.“
Bauherren werden dabei nicht in eine Mustersiedlung am Stadtrand gedrängt, sondern können unter günstigen Grundstücken wählen, die die Kommune vorsorglich in diversen Ortsteilen reservierte. So lässt man sich im Dortmunder Norden ebenso nieder wie in der Nachbarschaft des neuen Phönixsees. Die aus einem Architektenwettbewerb hervorgegangenen Haustypen zeichnen sich durch Süd-Orientierung aus und tragen Solarstrom- und -thermie-Anlagen auf den Dächern. „Energieautark“ sind die Eigenheime noch nicht: Der Jahresüberschuss ergibt sich bilanziell und deckt nicht die Bedarfe von kalten Wintermonaten, wo man auf ergänzenden Strombezug angewiesen ist. „Die Häuser sind allerdings darauf vorbereitet, zu einem späteren Zeitpunkt mit Batteriespeichern zum wirklich unabhängigen Gebäude weiterentwickelt zu werden“, blickt Kampert in die Zukunft.
Gekostet hat das die Kommune gar nicht mal viel Geld: 20.000 Euro hatte man eingesetzt, um den ersten zehn Bauherren ein begleitendes Qualitätsmanagement spendieren zu können (für das man sonst 1000 bis 2000 Euro berechnet). Weitere 25.000 Euro betrug der Eigenbeitrag zum Architektenwettbewerb. Für eine Doppelhaushälfte müssen die Bau-Familien mit 280.000 Euro kalkulieren, am Phönixsee auch durchaus mit 340.000 Euro. Auf der Habenseite stehen, so Kampert, günstige KfW-Finanzierungen, eine hochwertige Bausubstanz und „immer frische Luft“.
An den ersten „Einzugs-Events“ kreuzte der Projektleiter mit einem Blumenstrauß auf, der nicht nur Begrüßungs-, sondern zuweilen auch Trostpflasterfunktion übernehmen musste: „Eine Familie ist an einem sehr kalten Dezembertag eingezogen, an dem der Bau noch Restfeuchte hatte und den ganzen Tag die Türen offen standen. Da bekam man es zunächst nicht wärmer als 19 Grad. Doch das ist erledigt und Vergangenheit.“
Projektleiter Gerals Kampert: „Das soll ja auch Spaß machen.“, Foto: Tom Jost
Wie handhaben es die rheinischen Metropolen? Trailer hat sich beim Kölner Umweltamt umgehört, wo sich Reinhold Müller nicht unbedingt als erstes auf die Erzeugung von Regenerativ-Energie stürzen möchte: „Die großen Klimaschutz-Wirkungen entstehen nicht dort, wo man Photovoltaik aufs Dach nagelt, sondern den Stromverbrauch einschränkt. Denn 53 Prozent aller Emissionen sind nun einmal Strom-basiert.“ Köln habe seit 1996 elf Solarsiedlungen angegangen und richte aktuell das Augenmerk auf Klimaschutz-Siedlungen wie etwa im Sürther Feld: Dort entstehen Multi-Qualitäts-Wohnblöcke, die behindertengerecht, generationenübergreifend und Inklusions-geeignet entwickelt wurden. Energetisch ausgereift – mit solaren Erzeugeranlagen auf dem Dach, Blockheizkraftwerken … aber auch der Möglichkeit zur gemeinschaftlichen Nutzung großer Elektrogeräte. Ganz in Müllers Sinn also.
Düsseldorf hat sich entschlossen, Passivhäuser als Neubauten mit bis zu 4000 Euro zu fördern. Auch für den „Blower-door-Test“ zur Feststellung der Luftdichtheit kann man der Landeshauptstadt 100 Euro Zuschuss entlocken. Zudem gibt es Unterstützung für Solarthermie-Anlagen oder die Nutzung von Erdwärme. Insgesamt legt man in Düsseldorf aber den Schwerpunkt auf die energetische Sanierung der Bestandsbauten, die zu 80 Prozent aus einer Zeit stammen, als es selbst die erste Wärmeschutzverordnung von 1977 noch nicht gab. „Zum Vergleich:“, sagt Umweltamtsleiter Dr. Klaus von Zahn, „der Anteil der neu gebauten Wohnungen in den Jahren 2007 bis 2011 liegt bei 1,13 Prozent.“ Heißt nichts anderes als: Die richtig großen Aufgaben warten abseits der Neubaugebiete.
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