Die meisten Darstellungen von Natur und Körpern, die wir kennen, wurden von cis-Männern geschaffen. Wie sehr diese Perspektive unseren eigenen Eindruck des Dargestellten, aber auch unsere Vorstellung von Kunst prägt, fällt oft erst dann auf, wenn man mit Werken konfrontiert wird, die von dem abweichen, was wir bereits als Standard dieser Ausdrucksform akzeptiert haben.
So auch die Pastellkreidewerke von Ilse Henin, die den künstlerischen Ausgangspunkt der Ausstellung „Die unhintergehbare Verflechtung aller Leben“ darstellt. Die meist schemenhaft dargestellten Figuren, deren Körper oft in Formen aufgehen oder diese in sich integrieren, erinnern durch ihre bunte Farbgebung und Chaotik im ersten Moment an Kinderzeichnungen – ein Eindruck, der jedoch schnell schwindet, sobald einem die kompetente Strichführung in den Schemen der begleitenden Tiere bewusster wird. Die Bilder scheinen überfüllt mit symbolischen Formen wie Monden und Füchsen, überall finden sich Finger- und teils Fußabdrücke, die einen darin erinnern, dass dieses Kunstwerk aktiv erschaffen wurde und somit die Künstlerin in den Fokus rücken. Gleichzeitig dominiert oft das Grau oder Weiß des Hintergrunds.
Es lässt sich viel über diese Werke sagen – über ihre Darstellung von weiblich gelesenen Körpern zum Beispiel, weder sexualisiert, noch obszön, noch mit vielen Gendermarkern versehen (meist sind sie ohne Kopfbehaarung oder erkennbare Kleidung dargestellt) und trotzdem ausdrucksstark in ihren unüblichen Posen – aber mit Sicherheit sind Henins Werke eines nicht: hübsch anzusehen. Und subtil scheint allein das schon eine Rebellion gegen die klassische Wahrnehmung weiblicher Kunst zu sein.
Dass dies jedoch nicht die einzige Form der Auseinandersetzung mit Weiblichkeit sein darf oder muss, beweisen die anderen Künstler:innen, deren Werke anschließend an die beträchtliche Anzahl von Henins Bilder als Vertiefung, Anbau und Ausweitungen der feministischer Überlegungen ab den 1960ern in dieser Ausstellung gezeigt werden. Erfolgreich reflektieren die ausgewählten Werke – ob grelle neonfarbene Drucke androgyner Wesen in überwältigender Fauna oder abstrakte Pixelkunstwerke – die Vielseitigkeit dieser Diskurse; von der Dekonstruktionen des weiblich gelesenen Körpern bis hin zu der Entwicklung eines neuen Naturbezugs.
Eine ganz andere Richtung als Henin schlägt zum Beispiel die jüngste der ausgestellten Künstler:innen, Gisela McDaniel, ein. Ihre Bilder sind eben gerade das, was Henins Kunst nicht sein möchte: überwältigend schön, bildlich und fassbar. Auf einem ihrer großflächigen Portraits blickt einem eine Frau entgegen, sie ist – wie so viele von McDaniels Figuren – von Blättern umgeben und strahlt eine Erhabenheit aus, die nicht von Unterwerfung leben muss.
Trotzdem sind die Werke in „Die unhintergehbare Verflechtung aller Leben“ nicht einfach isolierte Oeuvres, die sich gerade durch ihre Abgrenzung voneinander ausmachen. Allein das scheinbar bewusste Auslassen einer direkten Zuschreibung der Werke (die Titel und Künstler:innen sind nur im begleitenden Flyer einsehbar) bringt die Werke unweigerlich in Verbindung, ohne, dass man diese direkt benennen könnte.
Es zeigt sich: Die „Verflechtung aller Leben“ ist nicht einfach oder stringent. Sie ist komplex, vielseitig und auch subjektiv darin, womit man sich verbunden fühlt. Trotzdem lässt sie sich darstellen und sichtbar machen; gibt man ihr (Museums-)Raum, wird auch das Schönste daran erkennbar: Wir selbst dürfen darüber verfügen. Auch das Frausein, die Entdeckung anderer Geschlechtsidentitäten außerhalb davon und die Emanzipation können uns nicht vorgeschrieben werden. Wie wir uns darstellen möchten, entscheiden wir selbst, ohne uns dabei von anderen abgrenzen zu müssen. Dass wir dabei verbunden sind, bleibt jedoch sicherlich eins: „unhintergehbar“ – und das ist auch gut so.
Die unhintergehbare Verflechtung aller Leben | bis 17.9. | Kunsthalle Düsseldorf | www.kunsthalle-duesseldorf.de
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