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Klasse Katharina Grosse, „Ein Drucker druckt Archiv in die Stadt“, 2017
Foto: Kunstakademie Münster

„Wir sehen die Kunsthalle auch als eine Art von Anti-Museum“

26. Oktober 2017

Kunsthallen-Leiter Gregor Jansen und Kuratorin Anna Lena Seiser über „Akademie [Arbeitstitel]“ – Sammlung 11/17

trailer: Herr Jansen, ich zitiere mal Goethes Mephisto „..denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht“. Und Sie machen eine Ausstellung zum Thema des Archivs?
Gregor Jansen: Weil wir nicht mehr Goethe-Anhänger sind, sondern eher Nietzscheaner. Nein, das Archiv ist etwas, was sich als komplexes Gebilde auch permanent verändern soll. Zwar sind Archive wie Museen auf eine ewige Bedeutung angelegt oder auch eine Festsetzung der Archivalien, aber bei uns ist es etwas, das sich als ephemeres Ausstellungskonstrukt gar nicht richtig fassen lässt. Das einzige, was hier bleibt, sind Dokumente oder Kataloge oder die Kunstwerke, die aber nicht mehr hier am Orte verbleiben, weil wir eben kein Museum sind. Und insofern war die Idee, das Archiv zum Thema zu machen, auch eine, die unsere eigene Identität befragt. 
Anna Lena Seiser: Das hat natürlich auch einen Bezug zum 50-jährigen Jubiläum der Kunsthalle hier in diesem Gebäude am Grabbeplatz. Es ist immer interessant zurückzublicken, aber eben auch aus der Perspektive der heutigen, der jungen Künstlergeneration. Der Archivbegriff selbst ist ja nicht eindeutig zu definieren, da gibt es ganz viele spezifische Ausformungen. Wir haben das sehr offen formuliert. Es wird die Auseinandersetzung mit dem Archiv der Kunsthalle. Viele der Künstlerinnen und Künstler sind ins Stadtarchiv gegangen, wo unsere Unterlagen hauptsächlich lagern, haben aber auch mit dem kleinen Hausarchiv gearbeitet und daraus Projekte entwickelt, die sie aus ihrer Sicht irgendwie spannend fanden. Andere haben sich an der Architektur abgearbeitet. Was gibt es für Narben der vorangegangenen Ausstellungen in den Räumen? Das ist ja auch eine Art von Ablagerung, von Speicherung, woraus sich neue Geschichten entspinnen lassen.

Im musealen Kontext gibt es doch einen Unterschied zwischen der Sammlung, respektive Depot, im Haus, und einem wie auch immer gearteten Archiv?
GJ: Man kann das Archiv auch als Sammlung, als Depot sehen, auch als Dokumentenwerk oder nur als Idee. Kenneth Goldsmith, der hat hier bei uns einmal gesagt, wenn ich das ganze Internet ausdrucke, habe ich wohl die ganze Erde mit Papier bedeckt. Aber wir sehen uns ja mit der Kunsthalle auch als eine Art von Anti-Museum. Das heißt, dass wir ganz bewusst nicht sammeln. Dann sind wir doch wieder bei Goethe.

Wie sieht es denn mit dem Unmut der Studenten – die Hochschule ist ja nicht weit weg – gegenüber den Institutionen heute aus? Ich beziehe mich da auf die frühe Ausstellung „between1969—73“.
GJ: Ja, die Beziehung ist besser als gut, würde ich sagen. Das ist eine interessante Fragestellung. Man könnte sagen, die eigentliche Motivation für die Ausstellung „Akademie (Arbeitstitel)“ im Jubiläumsjahr, entwickelte sich aus dem Wunsch, wieder etwas mit den Studenten auf einer direkten Ebene zu bewerkstelligen. Und „between1969—73“ ist das richtige Stichwort. Es war ja so, dass das eine richtige Forderung der Studenten war, sich hier in der Kunsthalle einen Raum zu erkämpfen. Ich habe mir sowas eigentlich wieder gewünscht, da muss doch mehr Kritik, mehr Widerstand, mehr provokative Gesten seitens der Akademien kommen. Denn natürlich ist der Kunstverein hier im Haus genauso wie wir ein Ort, der das Experiment und nicht die gesicherte Position voranstellt. Und darum kam es jetzt zu dieser Einladung – also quasi wie im umgekehrten Sinne von „between“ – an die Studenten in Düsseldorf, Münster und Köln.

Können Sie schon was zur Struktur, oder ich sag mal besser zur Dramaturgie der Ausstellung sagen?

Gregor Jansen
Foto: Kunstakademie Münster
Zur Person:
Dr. Gregor Jansen ist seit 2010 Künstlerischer Leiter der Kunsthalle Düsseldorf und leitete zuvor das ZKM | Museum für Neue Kunst Karlsruhe. Er studierte Kunstgeschichte, Baugeschichte und Philosophie an der RWTH Aachen und promovierte 1998. Seit 1991 arbeitete er als Kurator, Kunstkritiker, Autor und unterrichtete in Bildwissenschaft und Medientheorie. Anna Lena Seiser studierte Medienkultur an der Bauhaus-Universität Weimar sowie Europäische Medienwissenschaft an der Universität Potsdam. Seit 2015 ist sie im kuratorischen Team der Kunsthalle tätig.

GJ: Schon die Überlegung dazu ist eigentlich ein Unding für einen Ausstellungsmacher. Denn da bemühen Sie sich ja, für einen gewissen Zeitraum, Konstellationen zu schaffen, die im Dialog stehen. Und auch nur diese Einmaligkeit besitzen. Das ist ja das Tolle an einer Ausstellung: In einem Raum kommen temporär Objekte zusammen, die sonst nicht zusammenkämen. Und das machen wir jetzt auch, aber in wesentlich vielfältigerer Form. Es sind wahrscheinlich über hundert Teilnehmer. Und die mussten in eine Räumlichkeit, sprich in die Kunsthalle, und die mussten auch in einen Zeitplan. Das brachte uns im Team an die Grenzen des Machbaren und ich glaube auch, dass es für die Besucher eine Herausforderung wird. Deshalb ist es so, wer einmal Eintritt bezahlt, kann vier Mal wiederkommen, um die Veränderungen, die hier permanent stattfinden, selbst nachzuvollziehen.

Also ist das eine Ausstellung mit einem performativen Charakter?
GJ: Sehr gut. So kann man es nennen. 
ALS: Das stimmt auch, weil sogar Prozesse, die sonst nicht öffentlich sind, wie Umbauten und Veränderungen, Teil des Erlebens der Ausstellung werden. Es finden auch Proben statt, die mit verfolgt werden können. Es gibt einzelne Künstlerinnen und Künstler, die hier vor Ort arbeiten.

Denken wir ans ZKM in Karlsruhe oder die Kunsthochschule für Medien in Köln,  wann wird das Haptische in der Kunst ganz verschwunden sein?
GJ: Nie. Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube auch, dass Bücher machen nie aufhört oder Bilder malen, Skulpturen schaffen. Das Problem der Medienkunst ist immer der Strom. Sobald Sie den Strom abschalten, sehen Sie nichts mehr auf dem Bildschirm oder hören Sie nichts mehr auf dem Lautsprecher. Das hat mich im ZKM auch immer ein bisschen irritiert, wenn ich gesagt habe, mach doch mal Licht aus, und schau mal, was passiert. Aber natürlich sind wir auch im Bereich Skulptur vom Medium abhängig, das ist etwas, das wir gerne vergessen, bei traditioneller Kunst. Aber das Haptische? Stellen Sie sich vor, Sie trinken einen Wein und der würde plötzlich in einer Tube verabreicht. Ich glaube, der würde uns allen nicht schmecken, da wir noch klassischen Wein kennen.

Wer wählt denn eigentlich die Protagonisten bei so einer Ausstellung aus? 
ALS: Das ist in diesem Fall auch ein sehr besonderer Prozess gewesen. Wir haben überlegt, welche Professorinnen und Professoren haben zu diesem Thema Archiv vielleicht schon gearbeitet oder einen medialen Bezug. Wir haben verschiedene Lehrende an den Hochschulen angesprochen und die haben das dann teilweise ganz unterschiedlich weitergegeben. Alle, die daraufhin Lust hatten, teilzunehmen, haben etwas eingereicht. Und dann haben wir im Team in zwei großen Sessions eine Auswahl getroffen oder die Künstlerinnen und Künstler gleich eingeladen, um herauszukitzeln, ob da etwas besonders Interessantes ist. Alles ist es sehr heterogen. Die KHM [Kunsthochschule für Medien, Köln, die Red.] hat ja gar kein Klassensystem. Da hat ein Verbund aus den Dozenten ein paar Leute bestimmt, die haben teilweise noch Leute hereingebracht, mit denen sie gerne zusammenarbeiten. Das wird eine experimentelle Ausstellung, weil wir selber nicht wissen, wie die einzelnen Arbeiten werden. Die Ideen sind neu und die Arbeiten werden hier vor Ort entwickelt. Was aus unserem Konzept am Ende wird, gerade wenn man zum Material übergeht und das dann wirklich umsetzt, das werden wir dann selbst erst erfahren.

Und das Krönchen der Ausstellung ist, wenn es aus dem Schwarzen Loch von Papa Beuys tönen wird?
GJ: Genau.

Aber es wird nicht rauchen?
GJ: Nein. Es wird nicht rauchen. Es werden nur die Köpfe rauchen. Das Beuys-Loch gehört zum Nebenprojekt „Performing Archive“. 
ALS: Unter dem Label gibt es verschiedene Künstlerinnen und Künstler, aber auch Kuratorinnen und Kuratoren, Musiker, Choreografen, die wir eingeladen haben, die sich ganz dezidiert mit einzelnen vergangenen Ausstellungen der Kunsthalle auseinandersetzen. Stefan Schneider hat diese akustische Untersuchung des Beuys-Lochs.
GJ: Der kam auf mich zu und sagte, dass er noch eine Tonaufnahme von Beuys habe. Er hätte vor Jahren bei Düsseldorf Sounds einfach mal ein Richtmikro in das Objekt reingehalten und eine Stunde aufgenommen. Und das ist ja wirklich spannend, man hört wirklich viele Außengeräusche.

Autohupen.
GJ: Ja, und Passanten oder die Glocken, gut, die hört man auch so. Auf jeden Fall kam er und meinte, er würde da gerne mal mehr zu machen. Eine LP vielleicht oder ein Stück. Und dann haben wir gesagt, ist das nicht was, womit wir einen ganzen Abend füllen wollen. Und jetzt macht er zwei oder drei Konzerte um dieses Loch herum. Dazu gibt es eine Publikation und eine LP. Er hat richtig zur Ausstellung, für die das Schwarze Loch entstanden ist, recherchiert, Interviews geführt. Das wird ein tolles Finale.

„Akademie [Arbeitstitel]“ | bis 7.2.18 | Kunsthalle Düsseldorf | www.kunsthalle-düsseldorf.de

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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