Die größte Attraktion von Lygia Pape kommt ziemlich zum Schluss der Ausstellung. In einem dunklen Kubus sind silberne Fäden in Bündeln schräg zwischen oben und unten gespannt. Sie sind so fein und präzise auf quadratische Grundrisse hin gesponnen, dass sie kaum zu sehen sind und wie Sonnenstrahlen wirken. Mit ihrem poetischen Ton spricht diese Skulptur aufmerksame Beobachtung und Sorgfalt an – Haltungen, die das gesamte Werk der brasilianischen, hoch angesehenen Avantgarde-Künstlerin (1927-2004) auszeichnen. In Deutschland ist der Werküberblick eine Premiere. Er trägt über die sinnliche, ästhetische Erfahrung hinaus dazu bei, Beziehungen zum westlichen Kunstkanon zu klären und für den Blick auf andere Kulturkreise zu sensibilisieren.
Dabei beginnt Lygia Pape sozusagen klassisch mit einem konstruktivistisch angelegten Vokabular, das geometrische Formverhältnisse auslotet. Ein Schlüsselwerk ist ihre wandfüllende Relief-Arbeit, die so viele einzelne Quadrate umfasst wie das Jahr Tage hat und darauf beruht, dass die herausgeschnittenen Partien an anderer Stelle auf der weißen Fläche angeordnet sind: Mit derartigen Werken gehört Pape in den 1950er und 1960er Jahren zur Bewegung der neokonkreten Kunst in Brasilien. Ihre Werke demonstrieren Partizipation: in der teilenden und verbindenden Faltung, den leuchtenden Primärfarben und schließlich, ab 1967, in Zeiten der Diktatur, in denen sie trotz Repressalien in Rio de Janeiro bleibt, in ihren kollektiven Aktionen. Ein Ton des Spielerischen kennzeichnet diese Arbeiten, die sie etwa mit den Kindern in den Favelas aufführt und die sich um Einordnung und Gemeinschaft, Einzigartigkeit, Aneignung, aber auch kulturelle Eigenheit drehen. Dokumentiert und weitergeführt in teils erzählerischen Filmen, wendet sie sich der indigenen Bevölkerung zu, macht auf Kolonialisierung aufmerksam, prangert das Militär an und verdeutlicht die Qualität von Handarbeit. Dazu hat sie den Karneval in Rio oder den Kunstbetrieb als Vampir gefilmt: Es gibt viel zu sehen, zu hören und zu schmecken.
Lygia Pape – The Skin of All | bis 17.7. | K20 Kunstsammlung NRW in Düsseldorf | 0211 838 12 04
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