„Was ist schlimmer als ein Wurm in einem Apfel? Der Holocaust“. Mit diesem Witz eröffnet Buchautor und Satiriker Shahak Shapira sein Programm, es wird verhalten gelacht. Auf Auszüge aus realen Online-User-Bewertungen zum Besuch der Gedenkstätte Auschwitz wie „Schlechter Service“ oder „Massenabfertigung“ inklusive der Vergabe von Sternen, folgt eine Galerie falsch aufgemalter Hakenkreuze und der Beweis, dass der rechtsesoterische Kopp-Verlag neben einer Survival-Gulaschkanone auch Shapiras Buch „Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen! Wie ich der deutscheste Jude der Welt wurde“ im hauseigenen Shop führt.
Viel mehr muss der gebürtige Israeli, der mit 14 Jahren ausgerechnet in eine Provinz in Sachsen-Anhalt zog und in der Neujahrsnacht 2015 in Berlin von einer Horde Antisemiten verprügelt wurde und darüber ein Buch schrieb, nicht machen. Es wird laut gelacht, sogar gegrunzt. Darf er das so sagen? Dürfen wir darüber lachen? Diese Fragen stehen unausgesprochen im Raum und auf den Gesichtern im Publikum.
In Shapiras Buch heißt es an einer Stelle: „Ab welchem Punkt aus einem Witz eine Beleidigung wird, ist eine äußerst subjektive und komplizierte Angelegenheit (…) Manchmal spielt die Beleidigung selbst kaum eine Rolle, sondern vielmehr, wer sie ausspricht.“ Auch wenn es um die katholische Kirche geht, hat Shapira eine klare Meinung. Nie würde er diese mit den Nazis vergleichen, hat sie doch ein „zweitausendjähriges Reich“ vorzuweisen und viel mehr Menschen auf dem Gewissen als die Nazis in ihren popeligen zwölf Jahren Herrschaft. Zum Beweis zitiert er aus seiner „Holygen Bimbel“, die blutrünstige Bibelstorys wie die von der Zerstörung von Sodom und Gomorrha in Jugensprech übersetzt.
Wo sich Shapira sicher fühlt, ist er gut und der eloquente Stil, in dem sein Buch und seine Texte für das Online-Magazin Vice verfasst sind, schimmert durch. Verlässt er dieses Terrain, wird es holprig. Wenn er über verweichlichte Gangster-Rapper oder das Netzphänomen „Double Dick Dude“ spricht, stimmt das Timinig nicht immer und der Weg zur Pointe zieht sich. Dass da einer übt, statt routinierte Manierismen abzuspulen, ist aber nicht unsympathisch. Schwieriger wird es, als Shapira über Homophobie sinniert. Wenn er sich freut, nicht mit den „gut aussehenden, durchtrainierten“ Schwulen um Frauen wie um das letzte Stück Pizza konkurrieren zu müssen, sind die Klischees nicht weniger platt als bei Mario Barth.
In der anschließenden Diskussion soll es eigentlich um „Humor in Deutschland“ gehen, stattdessen kriegt Shapira viel Kritik zu hören. Zum Auftakt kontert er auf die Frage von Moderator Alexander Kerlin noch souverän: „Humor in Deutschland ist, wenn man im Anschluss darüber diskutiert“. Die meisten Fragen aus dem Publikum sind schwammig gestellt, aber auch Shapiras Antworten kommen nicht immer zum Punkt. Andere sind angenehm offene Ansagen: „Ich finde oberlehrerhaftes Verhalten auf der Bühne ekelhaft. Ich weiß es auch nicht besser als alle anderen“.
Auch seineYolocaust-Aktion reflektiert Shapira. Anfang des Jahres hatte er User-Selfies von Touristen in pietätlosen Posen vor dem Berliner Holocaust-Mahnmal in historische Fotos aus Konzentrationslagern montiert und veröffentlicht. Eine Debatte zum Umgang mit Orten der Erinnerungskultur wurde angeregt, alle zwölf Abgebildeten meldeten sich. Rückblickend meint er dazu: „Ich weiß heute noch nicht, ob das richtig war. Ist es cool, Persönlichkeitsrechte derart zu verletzen? Wahrscheinlich nicht.“
Die Frage, wo die Grenzen von Humor sind, klärt sich auch an diesem Abend in Dortmund nicht. Denkanstöße liefert Shapira trotzdem. Hinter dem, was er schreibt, lässt sich eine Haltung erkennen, die sein Stand-Up noch nicht überzeugend transportiert. US-amerikanische Komiker wie Louis C.K. oder Dave Chappelle, die Shapira als Vorbilder nennt, haben dafür aber auch jahrelang geübt und er steht noch am Anfang.
Gegen Ende meldet sich eine junge Frau, um auf Shapiras Passagen zur Homosexualität zurückzukommen, ihrer Meinung nach positive Homophobie. Shapiras Witze zu schwulen Männern reproduzierten ihrer Meinung nach Stereotype und blieben zu sehr an der Oberfläche. Es geht ein bisschen hin und her, bis sie fragt: „Wenn Schwule für Dich toll sind, weil sie Dir keine Konkurrenz machen, bin ich dann scheiße, weil ich eine Lesbe bin und Dir die Frauen wegnehme?“. Lieber Shahak, so geht eine Pointe.
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