In den Feuilletons wurde das Thema zuletzt regelmäßig durchgekaut: Die Abwendung enttäuschter und abgehängter ArbeiterInnen an den Urnen, weg von den traditionellen sozialdemokratischen oder kommunistischen Parteien, hin zu neuen rechtspopulistischen Formationen wie dem Front National. So beschreibt es zumindest der Soziologe Didier Eribon in seinem Bestseller „Rückkehr nach Reims“.
Auch die AfD scheint an diesen Mythos zu glauben. Zumindest wenn man einigen ihrer WortführerInnen zuhört: „Partei der kleinen Leute“, sagt etwa Gauland. Der provokante SPD-Überläufer Guido Reil bezeichnet die AfD sogar als „neue Arbeiterpartei“. Doch was ist dran an diesem Mythos von der AfD als moderner Vertreterin von ArbeitnehmerInnen-Interessen? Diese Frage versucht der Politikwissenschaftler Alexander Häusler auf Einladung der RUB-Fakultät für Sozialwissenschaft und der DGB-Jugend NRW im Blue Square zu beantworten.
Von der Anti-Euro zur „Pegida“-Partei
Häusler arbeitet an der Fachhochschule Düsseldorf als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus und Neonazismus. In etlichen Vorträgen und Artikeln hat er sich in den letzten Jahren auch intensiv mit der AfD auseinandergesetzt. Auffällig sei für ihn die deutliche Wandlung seit 2013: „Die Partei ist so eine Art politisches Chamäleon.“ Los ging es vor vier Jahren mit einer „ursprünglich neoliberalen Grundierung“, so Häusler. Wirtschaftliche Deregulierung, Standortpolitik, Kampf gegen die Gewerkschaften – die einstige Lucke-Partei lehnte zunächst vor allem eine europäische Einheitswährung ab. „Eine FDP minus Euro“, sagt Häusler.
Doch längst versuchten da die RechtspopulistInnen, offensiv einen Keil in die ArbeitnehmerInnenschaft zu treiben – ganz im Stile des Front National, mit dem Petry und Co. mittlerweile regen Austausch pflegen. „Das wäre unter Lucke noch Grund für einen Parteiausschluss gewesen“, erklärt Häusler. Doch die neoliberalen Wurzeln wurden nie revidiert. So wirbt die Partei zwar mit Slogans wie: „Das neue Rot der Arbeitnehmer ist blau.“ Auf der anderen Seite stehe sie aber nach wie vor für sozialen Kahlschlag bei billigem Ausspielen der Lohnabhängigen. „Ein Mix aus Ordoliberalismus und primitiven Nationalismus“, sei das Wahlprogramm.
Vor der NRW-Wahl
Zuletzt ließ der Zuspruch an den Urnen jedoch nach. Gab es im letzten Jahr teilweise zweistellige Ergebnisse, so befinden sich die RechtspopulistInnen laut jüngsten Umfragewerten mittlerweile unter zweistelligen Prozentwerten. Knapp eine Woche vor der NRW-Landtagswahl könne Häusler zwar auf Landes- wie auf Bundesebene eine extrem zerstrittene und widersprüchliche Partei beobachten. Doch die so oft beschworenen sozialpolitischen Probleme artikuliert auch der Wissenschaftler im gut besuchten Blue Square: „Dem rechten Populismus ist alleine mit Argumenten nicht beizukommen. Bestimmte Bevölkerungsgruppen fühlen sich abgehängt und nicht mehr vertreten.“ Wie Eribon sieht auch Häusler im Umschwenken der einstigen Linken zu einer Politik der Mitte einen Faktor für diese Repräsentationskrise.
Mit Blick auf eine gar nicht unwahrscheinliche Fortsetzung einer schwarz-roten-Regierung nach der Bundestagswahl ahnt der Sozialwissenschaftler auch weiter Chancen für die AfD, sich weiter zu stabilisieren: „Große Koalitionen sind Wasser auf die Mühlen der Rechten, die sich dann weiter als Alternative inszenieren können.“ Trotz Negativprognosen in Umfragen und innerparteilichen Streitigkeiten scheint also auf der politischen Landkarte von Entwarnung noch keine Rede zu sein.
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