Ganz langsam schiebt sich das kleine Wölkchen ganz hinten am Horizont aufs azurblaue Tableau. Möwen setzen sich kreischend auf die Kante zwischen Meer und Land. Träge rolle ich noch einmal um die eigene Achse, beobachte die eigentlich riesigen Vögel, ein Schluck aus der Buddel Süßwasser, ein fauler Sonntag am Stand neigt zäh sich dem Ende entgegen. „Haben wir eigentlich einen Schirm dabei?“ Die nebenan gestellte Frage erzeugt erst einmal Heiterkeit bei strahlendem Sonnenschein und dem klitzekleinen Wölken dahinten an der Grenze zwischen Himmel und ... Hölle? Aus dem schnuckeligen weißen Schäfchen war kurzerhand eine dunkelgraue Wand geworden, die atemberaubend schnell ... und da fliegt das zweite feuchte Handtuch auch schon in die entgegengesetzte Richtung. Das unangekündigte Tief drängt mit Macht und schlagartig drängen alle Strandbenutzer heimwärts, raffen Kind und Kegel, Sonnenschirm und Badehandtücher, die Jüngsten krähen, die Eltern keifen. Wetter hat eine unheimliche Macht, wenn es will und wohl alle Sonnenanbeter den rituellen Schnaps für Petrus vergessen haben. Nun droht der Urlaubsinfarkt.
An der Ruhr droht derweil der Kulturinfarkt. Ganz langsam schiebt sich ein Gerücht auf das strahlende Glanzbild einer Metropolregion, die Metropole sein will, aber wohl auch den Regenschirm vergessen hat und nun aufgeregt in der veregneten Mittelmäßigkeit baden gehen will. Zumindest, wenn man dem Tenor bei der 1. Kulturkonferenz Ruhr in Essen glauben sollte. Dort zogen Wolken auf gegen die Selbstbeweihräucherung einer Region, die es einfach nicht schafft, mit dem klarzukommen, was sie an Kultur hat, und die sich beständig weigert, die seit Jahren bekannten Tatbestände fröhlich und ohne Groll zu akzeptieren. Dafür braucht es auch kein Unheil verkündendes Orakel aus der Schweiz. Das wissen wir selbst. Populist Pius Knüsel will die Region kulturell in den Gewitterschauer stellen. So what. Wir haben chinesische Regenschirme! Wo er Recht hat ist Ödland, da brauchen wir vielleicht den Frisch’schen Grafen Öderland. Dass das Ruhrgebiet nicht bedeutend werden konnte durch die Kulturhauptstadt, das haben Wissende (auch ich natürlich) lange vorher gewusst. Leider.
Kommen wir noch einmal zum unberechenbaren Wetter. So ein Gewitter soll ja eigentlich reinigend sein – für die Luft. Blöd nur, wenn man keinen Sauerstoff mehr zum Atmen hat. Die etablierten Kunst- und Theaterhäuser saugen den nämlich geschickt ab, die heilige RuhrTriennale nimmt es nicht nur direkt vom Steuerzahler, sondern auch noch keck über Umwege von der Kunststiftung NRW. Die will ja das Besondere fördern und da scheint alles recht, wofür man bei Premieren kostenlos in der ersten Reihe sitzen darf. Eigentlich will sie ja laut Satzung auch zu mehr Wagnis und Qualität in Kunst und Kultur herausfordern. Davon merken viele der Kulturschaffenden in NRW nix, der Vertreter der Freien Szene im Ruhrgebiet blieb der Kulturkonferenz in Essen gleich fern. Dort hätte er vom Bochumer Kulturdezernent Michael Townsend immerhin erfahren können, dass die Freie Szene „jetzt dran ist.“ Das ist ziemlich doppeldeutig, finde ich. Ein Schnaps für Pallas Athene.
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