Der größte Binnenhafen Europas liegt im Ruhrgebiet und ist inzwischen auch zum kulturellen Wirtschaftsmotor geworden: Bei den 37. Duisburger Akzenten drehte sich das vielfältige Kulturprogramm daher unter dem Motto „nah und fern“ bis Mitte März um die 300-jährige Hafengeschichte. Und auch das Museum der Deutschen Binnenschifffahrt wurde am 5. und 6. März zur atmosphärisch aufgeladenen Bühne, als die Poetische Werkstatt Ruhrort dort unter künstlerischer Leitung von Friederike Schmahl (Sounds: Heinz Robert Martin) eine Text-Ton-Collage zweier nautischer Kurzgeschichten von Siegfried Lenz aufführte: Die gleichnishafte Erzählung „Der Beweis“, in der Kapitän Albert Schull (Erich Carl) vor der letzten Frachtaufnahme im Hafen auf sein 32-jähriges Arbeitsleben zurückblickt, sowie den Prosa-Text „Der Hafen ist voller Geheimnisse“ (Sprecherin: Karin Torchalski). Die hohe Qualität der szenischen Lesung zeigt, dass die – derzeit heimatlose – Poetische Werkstatt wieder eine feste Spielstätte im Duisburger Stadtteil Ruhrort erhalten sollte.
„In alle Richtungen“ ging es literarisch am 11.3. in der Essener Zeche Carl, wo die Gruppe Richtungsding die zehnte Ausgabe ihrer gleichnamigen gegenwartsliterarischen Zeitschrift präsentierte und einen Publikumspreis (300 Euro) vergab. Diesen gewann die Hamburger Autorin und Redakteurin Christina Sothmann mit einer einfühlsamen Geschichte über die Entfremdung von elterlich auferlegter ‚Berufung‘ zum Hochsee-Segeln und den Tod der Mutter. Als „Unprojekt“ der Kulturhauptstadt.2010 gestartet, hat sich das „Richtungsding“ inzwischen als Konstante in der Literaturszene an der Ruhr etabliert. Die aktuelle Publikation umfasst einmal mehr Newcomer- und Wortprofi-Beiträge zwischen Prosa und Lyrik. Aus rund 400 Einsendungen hat die siebenköpfige Redaktion 20 ausgewählt – nur ein Viertel davon kam aus NRW. Wohin sich das „Richtungsding“ künftig entwickelt, steht derzeit wortwörtlich in den Sternen – heißt das nächste Ausschreibungsmotto doch „Rakete“: Gesucht werden Texte aller Gattungen von maximal 2.000 Wörtern Länge (bis zum 30.09. an: rakete@richtungsding.de).
Ein prominentes und besonders seltenes Ereignis stand am 15.3. im Schauspielhaus Bochum an: So wurde der nach dem Autoren, Künstler und Filmemacher Peter Weiss (1916-1982) benannte, mit 15.000 Euro dotierte Kulturpreis der Stadt zum vierten Mal seit 1990 in der Sparte Literatur vergeben. Geehrt wurde der in Berlin lebende Schriftsteller Ulrich Peltzer, dessen richtungsweisender Gegenwartsroman „Das bessere Leben“ (2015) es jüngst auch auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte. Zum einen nimmt der 1956 in Krefeld geborene Autor Epizentren der wirtschaftlichen Globalisierung wie die Megacity São Paulo in den narrativen Blick, zum anderen die Brutalität staatlicher Gewalt beim Massaker an der Kent State University in Ohio, wo gegen den Vietnamkrieg demonstrierende Studierende 1970 durch Nationalgardisten erschossen wurden. Der für seine humanistisch engagierte Literatur ausgezeichnete Romancier lehnt sich in seinem Werk an den Geist der „Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss an – „einer der Größten, die uns je etwas sichtbar gemacht haben“, bekennt Peltzer.
Literaturmagazin Richtungsding: www.richtungsding.de
trailer verlost 3 Exemplare „Das bessere Leben“ von Ulrich Peltzer auf trailer-ruhr.de
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