„Alles wird gut.“ Dieser Satz ist dem dritten Teil der Erfolgstrilogie des Innsbrucker Krimi-Autors Bernhard Aichner vorangestellt, der seinen finalen Trilogie-Teil „Totenrausch“ am 9. November im Rahmen des 21. Literarischen Herbstes an einem ungewöhnlichen Ort präsentierte – im gut gefüllten Sitzungssaal des Polizeipräsidiums Hamm. Der suggestiv-spannungsgeladen vorgetragene Auftakt schlägt das Publikum sogleich in den Bann: „Es war der einzige Weg. Sie hatte keine andere Wahl mehr, sie musste die Hilfe annehmen, die man ihr angeboten hatte. Dass jemand das Risiko einging, sie aus Deutschland wegzubringen, grenzte an ein Wunder.“ Die Bestatterin Brünhilde Blum, schillernde Protagonistin der beiden ersten Trilogie-Teile „Totenfrau“ und „Totenhaus“, ist auf der Flucht – samt ihrer zwei Kinder. Als Fluchtgefährt auf der Fahrt in den hohen Norden dient, morbider könnte es nicht sein, ein Leichenwagen. Eingepfercht in einen Sarg sucht sich die Mutter mit ihren beiden Töchtern einer immer engmaschigeren Überwachungsmaschinerie zu entziehen, die ein Entkommen, angesichts internationalen Haftbefehls in Zeiten fast flächendeckender Kameraüberwachung im öffentlichen Raum, beinahe unmöglich zu machen scheint.
„‚Uns wird nichts passieren‘, flüstert sie. ‚Bald geht der Deckel auf, und wir werden das Meer sehen.‘ Sie will daran glauben, darauf vertrauen, dass der Fahrer des Wagens tut, was er ihr versprochen hat. Dass er sie an Bord dieses Frachters bringen wird, ohne Umwege außer Landes, sie hat teuer dafür bezahlt.“ Was zunächst klingt wie die Fluchtgeschichte einer Migrantin, entpuppt sich rasch als jene einer fünffachen mutmaßlichen Mörderin, die jedoch aus für sie völlig nachvollziehbaren Gründen getötet hat – waren ihre Opfer doch allesamt verstrickt in die ungesühnte Tötung ihres geliebten Mannes, dem Vater ihrer Kinder. Und so verschwimmt rasch unser vorgefertigtes Bild von Recht und Unrecht auf dem Weg zum Meer, das ein neues Leben in Freiheit verheißt.
Doch so einfach ist es nicht – das Opfer, im Exil auf dem einsamen norwegischen Lofoten-Archipel, ist groß: „Nie mehr Heimat.“ Als nach kurzer Zeit das Geld ausgeht und die Identität der Protagonistin aufzufliegen droht, geht es zurück nach Deutschland: Ausgerechnet im Rotlicht-Milieu von St. Pauli versucht Brünhilde Blum sich und ihren Töchtern neue Pässe zu beschaffen, um ihre Odyssee durch Europa fortsetzen zu können. Der Preis dafür ist jedoch hoch – für die Eintrittskarte ins neue Leben soll Blum einen weiteren Mord begehen...
Dass am Ende dennoch „alles gut“ wird, bleibt trotz aller Widerstände zu hoffen – identifiziert man sich bei der Lektüre doch recht stark mit der Protagonistin. Dies ist aus Sicht des Autors auch durchaus beabsichtigt, dem die Lektüre des eigenen Textes immer noch nahegehe, auch wenn er ihn bereits etwa 90 Mal vorgetragen habe. Sein Bestreben eine würdige, authentische Heldin zu kreieren, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er zu Recherchezwecken selbst als Bestatter-Assistent tätig gewesen ist. Derzeit ist eine mehrteilige internationale Fernsehserie nach der Trilogie-Vorlage des 2017 mit dem renommierten Glauser-Preis ausgezeichneten Österreichers in Vorbereitung – man darf gespannt sein!
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