Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
16 17 18 19 20 21 22
23 24 25 26 27 28 29

12.605 Beiträge zu
3.828 Filmen im Forum

Lebendige Literaturinszenierung – Dean Luthmann
Foto: Ulrich Schröder

Kafkaesk?

31. August 2017

Dean Luthmann mit Kisch in Gladbeck – Lesezeichen 09/17

Er gilt als einer der bedeutendsten Journalisten: der 1885 in Prag geborene „rasende Reporter“, dessen gleichnamiges Buch 1925 erschienen ist. Doch nicht nur für seine mitreißenden Reportagen, die er als „Kunst- und Kampfform“ betrachtete, war Egon Erwin Kisch bekannt; auch literarisch hatte der sich nach dem Ersten Weltkrieg zum Pazifismus und Kommunismus bekennende Vielschreiber einiges zu bieten: So sind seine Erzählungen durchaus mit denen eines Franz Kafka zu vergleichen, mit dem Kisch zudem seine deutsch-jüdischen Wurzeln gemeinsam hatte. Mit einer in den Pausen zwischen den Texten leitmotivisch von Smetanas „Moldau“ begleiteten Lesung bereitete der in Berlin aufgewachsene Wahl-Mülheimer und Theatermacher Dean Luthmann dem Vorreiter des investigativen Journalismus am 11. August in der „Scheune“ des kaukasisch-russischen Restaurants Lezginka in Gladbeck eine würdige Hommage.

Wie die klassische Begleitmusik oszilliert Luthmanns theatergeschulte Stimme zwischen euphorisch und melancholisch, laut und leise. „Zur Erregung brauch’ ich Ruhe!“, schmettert der Gründer des in den 90ern zusammen mit seiner Frau ins Leben gerufenen Theaters „affabile“ plötzlich durch die stimmungsvolle „Scheune“ des nach einem kaukasischen Volkstanz benannten Restaurants. Zum Auftakt leiht er sein Organ dem Protagonisten der Kisch-Satire „Lobing – pensionierter Redakteur“, der Telegrafen und Telefone hasst; eine skurrile, doch gerade angesichts gegenwärtig grassierender Mobiltelefonitis durchaus nachvollziehbare Eigenschaft. Standhaft weigert er sich zudem, seinen dem Jiddischen entlehnten Nachnamen „Löwi“ in „Lobing“ zu ändern. Andere (teils satirische) Kurzerzählungen nehmen Hitlers unrechtmäßige Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz sowie das absichtliche faschistische Bombardement des „ausgeräumten Prado“ im Spanischen Bürgerkrieg aufs Korn oder widmen sich dem jüdischen Leben im mexikanischen Exil und in Böhmen-Mähren. Am 8. September wird die Lesereihe des Theaters „affabile“ in der „Scheune“ des – hervorragenden – Lezginka mit einer Veranstaltung über den sorbisch-deutschen Autor und Journalisten Erwin Strittmatter fortgesetzt.

Ulrich Schröder

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Drachenzähmen leicht gemacht

Lesen Sie dazu auch:

Im Reich der unsichtbaren Freunde
„Solche Freunde“ von Dieter Böge – Vorlesung 07/25

Bis zur Neige
„Der Durst“ von Thomas Dahl – Literatur 06/25

Neuer Blick auf Afrika
Lutz van Diik in der Essener Buchhandlung Proust

Flucht ins Metaverse
„Glühfarbe“ von Thea Mantwill – Literatur 06/25

Ein Hund als Erzähler
„Zorro – Anas allerbester Freund“ von Els Pelgrom und Sanne te Loo – Vorlesung 06/25

Ein Leben, das um Bücher kreist
„Roberto und Ich“ von Anna Katharina Fröhlich – Textwelten 06/25

Sicherheit unmöglich?
Die Lesung „Sicher nicht“ in Moers

Hartmut und Franz
Oliver Uschmann und sein Roman über das Verschwinden von Kafka – Literaturporträt 06/25

Die Spielarten der Lüge
„Die ganze Wahrheit über das Lügen“ von Johannes Vogt & Felicitas Horstschäfer – Vorlesung 05/25

Im Fleischwolf des Kapitalismus
„Tiny House“ von Mario Wurmitzer – Literatur 05/25

Starkregen im Dorf der Tiere
„Der Tag, an dem der Sturm alles wegfegte“ von Sophie Moronval – Vorlesung 05/25

„Charaktere mit echten Biografien“
Oliver Uschmann über seinen Roman „Ausgefranzt“ – Literatur 05/25

Literatur.

HINWEIS