Es ist nicht einmal eine halbe Stunde vergangen als Honor Titus, Sänger der Band „Cerebral Ballzy“, das Mikrofon auf den Boden wirft und kommentarlos Richtung Backstage taumelt. Kaum ist der letzte Akkord verstummt, tun es ihm seine Bandkollegen gleich. Aus den hinteren Reihen der zur Hälfte gefüllten FZW-Halle fragt man, ob das schon alles sei, ob die nicht auch längere Lieder hätten, im Grundtenor: „Was das eigentlich sollte?“. Dabei wissen viele, dass die Platte der Band aus New York es nicht mal auf 20 Minuten bringt, dass es ihre einzige bisher ist. Also woher das „mehr“ an diesem Abend nehmen?
Weniger Enttäuschung, eher Irritation
Die Stimmung ist eigenartig. Keine Enttäuschung, auch nicht wirklich Aggression, eher das Gefühl, dass der eigenen Abendplanung etwas entgegen lief. Mehr als ein Dutzend Zuschauer stehen zu diesem Zeitpunkt noch draußen, trinken ihr Bier und diskutieren in den Dortmunder Abend hinein. Die Punk-Fans werden Opfer des Punk. In dieser ironischen Wendung markieren „Cerebral Ballzy“ mit ihrem Konzert ein Ausrufezeichen für den Punk in seiner kompromisslosen, negativen Haltung. Entgegen dem Preis-Leistungs-Verhältnis, entgegen der Erwartung, entgegen dem Statement zum Publikum. Aber bei allem Anti- lebt ihr Ruf als angesagte Newcomer-Band aus Brooklyn, den sie bereits vor dem Erscheinen ihres ersten Albums hatte, ebenso von der Promotion, der My-Space-Seite und den verfügbaren i-Tunes.
Keine Revolution aus der Garage
Kein Wunder also, dass der Support von der Länge her diesmal fast an den Haupt-Act reicht. Die Band „Messer“ hat mit ihrer Gradwanderung zwischen Punk und Post-Punk inzwischen auch überregional KritikerInnen und HörerInnen überzeugt. Markante Bass-Linien, getragen von aggressiven Riffs und den Texten von Henrik Otremba (19), desssen bildgewaltige Lyrik eher in das musikalische Konzept passt als frontale Punk-Statements. Die vier Mannen haben letzten Monat ihr Debütalbum „Im Schwindel“ auf dem Indi-Label „This Charming Man“ veröffentlicht und man darf davon ausgehen, dass dies erst der Anfang war.
Die Explosivität von „Cerebral Ballzy“ zündete nicht beim Publikum, auch nicht später. Wenngleich Lieder wie „Cutting Glass“ so unaufhaltsam ins Ohr schießen wie Skaterunfälle ihren Zeugen in die Magengrube schlagen, so wollte dennoch niemand den Graben überspringen. Ob der Jugend-Nihilismus aus den Straßen Brooklyns, der gänzlich auf politisch-revolutionäre Untertöne verzichtet, eine gehypte Gegentendenz zur Punk- und Popneurose ist oder ob er zum Revival des Skate-Punk wird, bleibt aufzuwarten. In Zukunft werden die Zuschauer notfalls ein Bier weniger draußen trinken, bevor es losgeht.
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