Keine Stadt klingt gleich. Und ohne New York gäbe es keinen HipHop, ohne Berlin nicht den Techno, wie wir ihn kennen und das, was Massive Attack seit Anfang der 90er zaubern, trägt nicht umsonst den Namen Bristol Sound. In ihrem Buch „Sound of the Cities“ gehen die Journalisten Phillip Krohn und Ole Löding der Frage nach, wie die musikalische Seele einer Stadt geboren wird und wer ihre Eltern und Geburtshelfer waren. Dafür bereisten sie 24 Städte in der ganzen Welt. Zuletzt führte sie ihr Weg nach Bochum, genauer gesagt: in die Schlegel-Keller, wo sie zum Vorspiel der Konzertreihe Urban Urtyp aus ihrem Buch lasen und mit Hans Nieswandt – Musikproduzent, Ex-Spex-Autor, Jetzt-Leiter des Studiengangs für Popmusik der Folkwang – sprachen.

Die Reise beginnt in Hamburg. Oder, streng genommen, im beschaulichen Bad Salzuflen (hinter Herford (neben Bielefeld (mitten im Nirgendwo))). Denn von dort kommt Bernd Begemann, Liedermacher und Schlüsseligur der Hamburger Schule. Und schnell lernen wir: „Dafür, dass es in der Großstadt richtig abgeht, sorgen immer Provinzler.“ Findet zumindest Hans Niewswandt. Und Phillip Krohn pflichtet ihm bei: Es gebe einen Kreativitätsdruck, der sich in der Provinz aufstaut und in der Großstadt endlich entladen wird.
Doch um das möglich zu machen, braucht es Freiräume: „Freiräume von kommerziellen Druck, von Verwertungsmechanismen, auch von Szenedruck“, bekräftigt Ole Löding. Schnell gehen die 90er vorbei, Massive Attack sind der Bristoler Ursuppe längst entstiegen, wir sind im Heute angekommen: Gentrifizierung macht Clubbetreibern das Leben schwer, das Mieten von Proberäumen fast unmöglich und raubt dem Sound der Stadt ihre Existenzgrundlage. Den Künstlern sowieso.
Und der Sound des Ruhrgebiets?
Was nimmt man mit von der urigen Keller-Lesestunde der Musik-Nerds? Zuallerst: Mieten runter (im Ernst). Und weil man in jeder Zeile der beiden Autoren ihre Liebe zu den Details und ihr leidenschaftliches Interesse an Musikgeschichte bis ins letzte Detail spürt, würde man sich gerne das ganze 400-Seiten starke Werk anschaffen – Pech, dass die erste Auflage bereits vergriffen ist. Ein Glück, dass es Urban Urtyp gibt. Übrigens auch wieder nächsten Sonntag (25.9.), dieses Mal wieder in der Christuskriche, im Kubus mit dem Elektro-Genie Numinos.

Last but not Least: Was ist der Sound des Ruhrgebiets? Den kennt Hans Nieswandt nicht, dafür aber regionale Befindlichkeiten: „Ich möchte da nicht pauschalisieren: Der Sound von Bochum ist anders als der von Wattenscheid“, sagt er und hat die Lacher auf seiner Seite. Doch im ernst: Er sieht den Pott als das „Nordengland Deutschlands“, erklärt er und setzt dann eines der charmantesten Statements, dass ich seit langem übers Revier gehört habe: „Man verliert sich nicht in Schönheit.“
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