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Energisch-gefühlvoll: Matze Rossi
Foto: Frank Schorneck

Warmer Mantel zwischen Büchern

21. November 2018

Singer/Songwriter Matze Rossi mit Konzert im Dortmunder U – Musik 11/18

„Das ist ja gar nicht so hässlich, wie ich Dortmund in Erinnerung hatte…“ – da weiß jemand, wie man sich beim Publikum beliebt macht. Dass es an diesem Abend im Dortmunder U trotz einer solchen Ansage nicht zu bösen Pfiffen kommt, liegt maßgeblich an zwei Dingen. Erstens: Den Ruhrgebietler zeichnet seit jeher die Hassliebe zu seiner jeweiligen Heimatstadt aus – „leider total verbaut“ ist ja letztlich kein Bochumer Alleinstellungsmerkmal. Zweitens: Dem Typen an der Gitarre kann man so einen Spruch gar nicht übelnehmen. Wenn Matze Rossi schwärmerisch den Blick schweifen lässt durch die bodentiefen Panoramafenster und man selbst diesem Blick folgt, kann man seiner Aussage nur von ganzem Herzen beipflichten: Draußen liegt Dortmund, in nächtliche Dunkelheit und bunte Lichter getaucht – im Fensterglas spiegeln sich Bücherregale und die Handvoll Stuhlreihen für das Publikum. „Weitwinkel“ ist der Name der Bibliothek in der fünften Etage der ehemaligen Brauerei. Hier sind über 20.000 Bücher und Kataloge über Kunst und Kunstgeschichte versammelt – und seit einer Weile finden hier regelmäßige „Feierabendsalons“ statt, die Literatur und Live-Musik miteinander verbinden. Und manchmal ist es auch „nur“ Musik, die hier präsentiert wird, dann unter dem Titel „Weitwinkel Live Sessions“. Einer der Organisatoren ist Bibliotheksmitarbeiter André Becker, der es sich nicht nehmen lässt, an diesem Abend unter seinem Künstlernamen „Herr Lehmann“ den Opener zu machen, um das Publikum schonmal musikalisch einzustimmen. 

Der Gast an diesem Novemberabend verbindet Musik und Sprache wunderbar in einer Person: Der Singer/Songwriter Matze Rossi kommt eigentlich vom Punk. Von 1992 bis 2006 war der Schweinfurter Sänger und Gitarrist der Band „Tagtraum“, schon während dieser Zeit trat er bisweilen solo auf. Unter seinem Spitznamen aus Jugendtagen ging er zunächst als „Senore Matze Rossi“, häufig mit Begleitband auf Tour, den „Senore“ hat er mittlerweile ebenso wie die Begleitband abgelegt. Und schon mit den ersten Klängen stellt er unter Beweis, dass er keine weitere musikalische Unterstützung benötigt. Leise, fast zaghaft und mit sanfter Stimme beginnt er das Konzert, singt von Liebe und Sehnsucht in einer poetischen Tiefe, von der die Jüngelchen aus den deutschsprachigen Charts noch nicht einmal träumen können. Matze Rossis Texte sind direkt, verstecken sich nicht hinter hohlen Phrasen, allzu oft gehörten Klischees und pseudoklugen Bildern. Musikalisch mäandert er zwischen klassischen Singer/Songwriter-Strukturen und Punk mit folkigem Einschlag, von reduzierter Ballade hin zum rhythmusbetonten Mitwipper. Geradezu beschwingt besingt er etwa die eigene Beerdigung, macht dabei textlich klar, dass er mit sich und seinem Leben im Reinen ist – nachdenklich und fröhlich in ein und demselben Song. Wie guter Whisky variiert seine Stimme von sanft bis kratzig-rauh. „Ich kann noch immer ziemlich wütend werden“, singt er im Song „Wir wollen doch gut aussehen“, und manchmal lässt er diese Wut wirklich durchbrechen. Er gibt eine Kostprobe seiner aktuellen Punk-Formation „Bad Drugs“ zum Besten und spielt auch einen Song von „Hot Water Music“, mit deren Frontmann Chuck Ragan er in diesem Winter noch auf Tour geht. In erster Linie präsentiert er sich jedoch als augenzwinkernd-spitzbübischer Typ, der es mühelos schafft, ein nur 30-köpfiges Publikum zum Mitsingen zu animieren, dass es klingt, als sei das benachbarte FZW ausverkauft. Kein „ohoho“ oder „hey“ wirkt albern oder aufgesetzt, das breite Grinsen ist aus dem Gesicht des Musikers nicht mehr wegzubekommen und hat sich auch längst im Publikum breit gemacht. Matze Rossi moderiert seine Songs nicht an, er plaudert locker mit dem Publikum – wenn man nicht wegen der Songs hier wäre, könnte man sich vorstellen, auch bloß ein paar unterhaltsame Stunden an irgendeiner Theke mit diesem Sympathen zu verbringen.

Und wenn Matze Rossi „Lass den Horizont Dein Zuhause sein, Du bist hier nicht gefangen“ singt, lässt er wieder den Blick über die Panoramafenster schweifen. Zum Abschluss des Konzerts stöpselt er die Gitarre aus, begibt sich unverstärkt in die Mitte des ohnehin zum Anfassen nahen Publikums und spielt seinen Song „Best Friends“, der einem verstorbenen Freund gewidmet ist. Der Refrain „All for one and one for all – we are best friends, we are best friends“ hat dabei nicht das aufgesetzte Pathos des Musketier-Soundtracks aus den 1990ern, sondern kommt spürbar von Herzen und das Publikum stimmt noch einmal inbrünstig ein. Der Ohrwurm für den Heimweg ist gesichert.

 

Infos:

Matze Rossi: „Musik ist der wärmste Mantel – Live im Audiolodge Studio“, End Hits Records / Cargo Records

Am 30. November erscheint unter dem Titel „Musik ist der wärmste Mantel“ ein Live-Album von Matze Rossi, das eine sehr ähnliche Atmosphäre wiedergibt, denn die Aufnahmen sind in ebenso intimem Rahmen entstanden. Allerdings wird er hier von Gastmusikern begleitet. Die außergewöhnlichen Live-Qualitäten des Musikers sind hier vortrefflich eingefangen.

Frank Schorneck

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