Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.558 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Vladimir Sorokin: Der Schneesturm.

Odyssee im „Schneesturm“

17. Dezember 2012

Vladimir Sorokins großartiger Roman über die Zerrissenheit Russlands - Literatur 12/12

Im fernen Dorf Dolgoje ist eine Krankheit ausgebrochen, die man Schwarze Pest nennt und die Menschen in eine Art Zombies verwandelt. Doktor Garin verfügt zwar über ein Serum, das die Menschen retten könnten, nur muss er durch diesen „Schneesturm“, der immer bedrohlichere Ausmaße annimmt. Garin findet nach einigen Komplikationen einen Kutscher mit einem Schneemobil, gemeinsam machen sie sich auf die Reise.

Vladimir Sorokins Roman „Schneesturm“ geht ab wie ein Schlitten mit frisch gewachsten Kufen. Auch wenn er nicht in einer Gemeinschaftsarbeit von Tolstoi, Tschechow und Gogol geschrieben worden ist, klingt er doch so. Die Männer kämpfen sich durch die endlosen Weiten Russlands, sie machen Station auf einem Hof, der Doktor erlebt eine stürmische Liebesnacht, es gibt Defekte am Schlitten. Sorokins Erzählstimme zieht die Leser in das Drama der Männer hinein, bald sitzt man mit ihnen neben den dampfenden Pferden. Und es ist nicht nur die Natur, die sich in den Weg stellt, auch Riesen und Zwerge verhindern die Weiterfahrt. Sorokins Geschichte bewegt sich vom 19. bis ins 22. Jahrhundert. Eine Zeitreise, in der „der Schneesturm die Funktion einer Bühne und einer allmächtigen Gewalt annimmt“, erklärt der Russe.

Immer schon wollte Sorokin - der zu Russlands beliebstesten Autoren zählt - eine solche Wintergeschichte schreiben. Er skizziert den Sturm wie eine Person, wenn er sagt: „Der Schneesturm kommt langsam, er ist keine Lawine. Er verzaubert zunächst, hat keine Eile und erstickt dann das Leben ganz langsam“. Der Roman gibt auch eine Vorstellung davon, dass die Distanz zwischen Provinz und Hauptstadt immer größer wird und heute schon nicht mehr zu überbrücken ist. Eine Erkenntnis, die auch eine politische Dimension besitzt, wenn man etwa an die Verurteilung der drei jungen Frauen der Band Pussy Riot denkt, die von vielen Russen begrüßt wurde. In Sorokins Roman, der so flüssig erzählt ist, öffnet sich immer wieder der Blick auf einen doppelten Boden, der die Ereignisse in das Licht der politischen Ereignisse unserer Gegenwart rückt. „Der Schneesturm ist nicht einfach Schnee mit Wind“, klärt uns Sorokin auf, „sondern er ist die Quintessenz der russischen Metaphysik, die einem unendlichen Raum gleicht, in dem die Menschen verloren gehen und den die Kultur letztlich nicht zu greifen vermag“.

Putins organisierte Jugendbewegung verhöhnt Sorokin auf YouTube, indem sie seine Bücher demonstrativ ins Klo wirft. Der 57-Jährige zeigt sich davon wenig beeindruckt, sein Roman bietet Spannung, Humor und eine atmenden Sinnlichkeit, die das Prädikat Weltliteratur verdient.

Vladimir Sorokin: Der Schneesturm. Deutsch von Andreas Tretner. Verlag Kiepenheuer & Witsch. 208 S., 17,99 €

Thomas Linden

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Challengers – Rivalen

Lesen Sie dazu auch:

Ein sympathisches Ungeheuer
„Die Komplizen“ von Georges Simenon - Literatur 12/12

Geschichten, die duften und klingen
Claudia Ott entdeckt die Handschrift „101 Nacht“ - Literatur 12/12

Eine Liebesgeschichte wie keine
Meg Rosoffs Debüt „So lebe ich jetzt“ - Literatur 12/12

Madeleines und andere Gegenstände der Verführung
Die Ur-Großnichte zeigt „Marcel Proust – in Bildern und Dokumenten“ - Literatur 12/12

Eine Welt voller Leben
„Der alte Mann und das Meer“ und der Sog des Erzählens - Literatur 12/12

Das Tagebuch der „ungarischen Anne Frank“
Àgnes Zsolt veröffentlichte „Das rote Fahrrad“ Literatur 12/12

Nitzberg zündet Bulgakow
„Meister und Margarita“ in prachtvoller Neuübersetzung - Literatur 12/12

Das Papier als größtes Glück
Bedeutung des Papiers - Literatur 12/12

Eine Frau, schöner denn je
Elisabeth Edl übersetzt „Madame Bovary“ neu - Literatur 12/12

Literatur.

Hier erscheint die Aufforderung!