29 Übersetzungen der „Madame Bovary“ existierten schon. Elisabeth Edl war sich jedoch sicher, dass sie Gustave Flauberts Roman besser übersetzen würde, als alle ihre Vorgänger. „Wenn man davon nicht überzeugt ist, kann man sich auf ein solches Unternehmen nicht einlassen“, erklärt sie unbefangen. Tatsächlich wird in Zukunft niemand, der sich das Vergnügen gönnen will, in die Welt dieses Romans einzutauchen - den viele Autoren für den Besten der Französischen Literatur des 19. Jahrhunderts halten – leichtfertig an dieser Übersetzung vorbeigehen können. Jeden Satz, mit dem Flaubert vom Schicksal der Emma Bovary erzählt, die dem Leben als Gattin eines Landarztes entfliehen will, indem sie immer neue Affären beginnt, hat Flaubert wieder und wieder bearbeitet. Mit einer Distanz, die es ihm ermöglichte, sein Wissen um die menschliche Psyche ebenso wirkungsvoll einfließen zu lassen, wie die Sinnlichkeit zu entzünden, die jedes seiner Bilder durchströmt, beobachtet er seine Figuren und verwandelt jede Szene in ein unvergessliches Tableau.
Die schwierigste Aufgabe ihres Übersetzungsprojekts bestand für Elisabeth Edl im Versuch, den Rhythmus und den Klang des Originals im Deutschen hörbar zu machen. Notfalls müssen andere Worte gefunden werden, so dass aus dem „Geflügel“, über das Flaubert schreibt, im Deutschen auch schon einmal die „Kaninchen“ werden müssen, um die Sprachmelodie im Fluss zu halten. Flaubert knüpft ein Geflecht erotischer Signalwörter in seinen Prosateppich ein. Elisabeth Edl lässt sie leuchten, wie die kleinen Stiefelchen, die Emma trägt, sie lässt sie hören, wenn Emma über den Küchenboden mit Holzschuhen klappert, und sie lässt sie duften, wenn Flaubert begeistert Emmas Haut beschreibt. Elisabeth Edl lüftet das Geheimnis über die Geschehnisse in der Kutsche, in der sich Emma mit ihrem Liebhaber verbirgt, und sie gibt den Hinweis darauf, wie es geschieht. Schon nach der Veröffentlichung hatte es Spekulationen gegeben, wie Mann und Frau denn in einer Kusche zur Sache kommen können. Ein Rätsel, das Flaubert selbst in den Roman einflocht, es gilt nur, aufmerksam zu lesen.
Am detailliert geschilderten Ehebruch – der helle Empörung hervorrief und dem Roman in Europa ausgezeichnete Verkaufszahlen bescherte – nahm dann auch die Staatsanwaltschaft Anstoß. Folgerichtig enthält die neue Ausgabe sowohl die Anklage, als auch die Verteidigung und das Urteil, das über den Roman gesprochen wurde. Jeder der Texte eine literarische Delikatesse als Zugabe, wenn man die 450 Seiten des Romans mit seinen Bildern, den subtil komponierten Szenen und vor allem der tiefen Menschenkenntnis, über die Gustave Flaubert verfügte, genossen hat.
Gustave Flaubert: Madame Bovary. Deutsch von Elisabeth Edl. Carl Hanser Verlag. 760 S., 34,90 €
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