Es gibt Bücher, die scheinen aus der ewigen Legende ihrer Großartigkeit zu bestehen. „Meister und Margarita“ ist so ein Roman, der seit seiner Entstehung in der dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts als das zentrale Werk der modernen Russischen Literatur gilt. In den deutschen Übersetzungen war diese Faszination für ein Buch, um das sich einhellig die literarische Opposition in Moskau und St. Petersburg aber auch die Jugendlichen, die Mystiker und die Satanisten scharten, nicht so ohne weiteres nachzuvollziehen.
Jetzt legt Galiani Berlin - ein Verlag, der immer für eine Überraschung gut ist - den kompletten Roman in der Übertragung von Alexander Nitzberg vor. Zwar bleibt Felicitas Hoppe in ihrem Nachwort eher wohltemperiert als begeistert, dafür zieht Alexander Nitzberg in seinen Notizen zum Roman den ganzen Hintergrund dieses Werkes auf, das seit seiner Fertigstellung 1940 die Russen beschäftigt. Bulgakow verwebt verschiedene Handlungsstränge miteinander. Da gibt es den Teufel, der wie eine Mischung aus Goethes Mephisto und Batman als mächtige, aber nicht allmächtige Figur durch Moskau gleitet. Der „Meister“ wird so genannt, weil er offenbar ein begnadeter Liebhaber war, jedenfalls nennt „Margarita“ ihn nur so. Er ist ein Schriftsteller, der an einem Roman über Pontius Pilatus schreibt, der in Russland angesiedelt ist. Die Erzählung stellt selbst einen Teil des Romans dar, der seinen Esprit auch durch die verliebte Margarita erhält, die zur Ballkönigin werden soll, sich jedoch als Hexe ausgezeichnet macht.
Nitzberg zündet die Begeisterung auch für Deutsche Leser, da sich unter seiner Hand der Roman in ein Werk faszinierend unterschiedlicher Stimmen verwandelt. Gleich einem kraftvoll dahinströmenden Fluss trägt einen Bulgakows Prosa wie von selbst mit sich fort. Ständig wird geredet, eins geht ins andere über und es entwickelt sich mitunter eine unerhörte Komik. Frisch klingt diese Prosa und sehr gegenwärtig. Eine zusätzlich ironische Note enthält sie, weil Bulgakow im Hintergrund der Moskauer Szenerie Stalins Anwesenheit durchscheinen lässt, an deren Stelle tritt heute eine Ahnung von Putins Allgegenwart. Ein Roman, mit dem man lustvoll in die Moskauer Welt eintauchen und sich darin verlieren kann.
Michail Bulgakow: Meister und Margarita. Deutsch von Alexander Nitzberg. Verlag Galiani Berlin. 606 S., 29,99 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Geschichten, die duften und klingen
Claudia Ott entdeckt die Handschrift „101 Nacht“ - Literatur 12/12
Odyssee im „Schneesturm“
Vladimir Sorokins großartiger Roman über die Zerrissenheit Russlands - Literatur 12/12
Eine Liebesgeschichte wie keine
Meg Rosoffs Debüt „So lebe ich jetzt“ - Literatur 12/12
Madeleines und andere Gegenstände der Verführung
Die Ur-Großnichte zeigt „Marcel Proust – in Bildern und Dokumenten“ - Literatur 12/12
Ein sympathisches Ungeheuer
„Die Komplizen“ von Georges Simenon - Literatur 12/12
Eine Welt voller Leben
„Der alte Mann und das Meer“ und der Sog des Erzählens - Literatur 12/12
Das Tagebuch der „ungarischen Anne Frank“
Àgnes Zsolt veröffentlichte „Das rote Fahrrad“ Literatur 12/12
Das Papier als größtes Glück
Bedeutung des Papiers - Literatur 12/12
Eine Frau, schöner denn je
Elisabeth Edl übersetzt „Madame Bovary“ neu - Literatur 12/12
Glühender Zorn
„Die leeren Schränke“ von Annie Ernaux – Textwelten 12/23
Reichtum und Vielfalt
„Stärker als Wut“ von Stefanie Lohaus – Klartext 12/23
Die Umweltschutzuhr tickt
„Der Wald ohne Bäume“ von Jeanne Lohff – Vorlesung 12/23
Ernste Töne
Neue Comics von Sfar, Yelin und Paillard – ComicKultur 12/23
Unter der Oberfläche
„Verborgen“ von Cori Doerrfeld
Philosophie bei Krisenstimmung
Jürgen Wiebicke in Herne – Lesung 11/23
Wenn die Blätter fallen
„Im Herbstwald“ von Daniela Kulot – Vorlesung 11/23
Ausstellung in Buchformat
Wenn jedes einzelne Panel im Comic einem Kunstwerk gleicht – ComicKultur 11/23
Nahrhafte Lektüre
„Das Alphabet bis S“ von Navid Kermani – Textwelten 11/23
Lebensphilosophie und Zeitreisen
19. Ausgabe des Festivals Literaturdistrikt in Essen – Literatur 11/23
Feminismus trifft Fußball
LesArt 2023 in Dortmund – Literatur 11/23
Blutige Füße für schnelle Mode
Jan Stremmels Reportage „Drecksarbeit“ in Dortmund – Literatur 10/23
Tierischer Gruselspaß
„Die Schule der magischen Tiere: Ach du Schreck!“ von Margit Auer
Überwindung des Fremdgefühls
Bahattin Gemici liest in Dortmund – Lesung 10/23
Die Evolutionsgeschichte in Bildern
„Mensch!“ von Susan Schädlich und Michael Stang – Vorlesung 10/23
Festival der Worte
Siebte Ausgabe der lit.Ruhr– Literatur 10/23