„Haben wir nicht alle einen Grund, wütend zu sein?“ Die Wut scheint das vorherrschende Gefühl unserer Gegenwart zu sein. Doug Johnstone legt diesen Satz in seinem neuen Roman „Schwarze Herzen“ einer Frau in den Mund, die ihren Ehemann getötet hat, der sie über Jahre misshandelte. Über Edinburgh hinaus scheint das soziale Klima unserer Epoche beschrieben: Johnstone erzählt von Dorothy, Jenny und Hannah, die ein Bestattungsinstitut betreiben. Dorothy ist die Chefin, sie hat gelernt, den Realismus des Alltags anzunehmen ohne dabei ihr Herz zu verengen. Einen jüngeren Geliebten hat sie auch. Jenny, die Tochter, neigt zu Alkohol und komplizierten Männerbeziehungen. Hannah, die Enkelin, kommt nach der Großmutter, ist pflichtbewusst und moralisch ambitioniert, wie viele junge Frauen ihrer Generation. Jedem Tod geht die Geschichte eines Lebens voraus, und die ist mitunter ungeklärt. Daher ist es nicht ungewöhnlich, dass Dorothy auch als Detektivin arbeitet. Ein Mann hat offenbar seinen Tod vorgetäuscht und Dorothy soll herausfinden, wo er steckt. Tatsächlich geschieht dann auch schon bald ein bestialischer Mord.
Doug Johnstone, Journalist, Songwriter und Atomphysiker (!), beherrscht routiniert das Handwerk des Schreibens. Mehr noch als der Kriminalfall steht das Leben der drei Frauen im Zentrum der Aufmerksamkeit und das gibt dem Roman seinen satten Erzählstoff. Als würde man einen Film aus drei Perspektiven sehen, legt Johnstone in kurzen Kapiteln, die jeweils mit einem Plot in sich geschlossen sind, die unterschiedlichen Welten des Trios an. Es geht dabei stets um Beziehungen, etwa die Liebe von Hannah zu ihrer Lebensgefährtin Indy oder Dorothys Liaison mit einem Polizisten und Jennys Drama um ihren Ex-Mann. Johnstone zeigt, dass Beziehungen unendlich sind, sie bestehen auch über den Tod einer Person hinaus im Dasein der Lebenden weiter. Eine wichtige Erkenntnis im Leben von Bestattern und Erzählern, die Johnstone in ihrer ganzen Tragik und Schönheit zu entfalten weiß. Zwar bietet der Schotte seiner Leserschaft ein turbulentes Finale im Leichenschauhaus, aber der eigentliche Genuss seines Romans besteht im Blick auf die Frauenleben dreier unterschiedlicher Generationen.
Doug Johnstone: Schwarze Herzen | A. d. schott. Engl. v. Jürgen Bürger | 344 S. | polar Verlag | 26 €
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Spürt die Romantik
Eichendorff-Lesung am Dortmunder Roto Theater
Zwischen damals und heute
Emily Marie Lara in der Düsseldorfer Zentralbibliothek
Suche nach Heimat
André Kubiczek im Oberhausener Literaturhaus
Bewusst blind vor Liebe
„Mama & Sam“ von Sarah Kuttner – Literatur 01/26
Thriller unter dem Sternenzelt
„Todestrieb“-Lesung im Bochumer Planetarium
Vom Kassettendeck Ins Rampenlicht
Drei ???-Vollplayback in der Christuskirche in Bochum
Jenseits des Schönheitsdiktats
„Verehrung“ von Alice Urciuolo – Textwelten 12/25
Nicht die Mehrheit entscheidet
„Acht Jahreszeiten“ von Kathrine Nedrejord – Literatur 12/25
Power Kid
"Aggie und der Geist" von Matthew Forsythe – Vorlesung 11/25
Allendes Ausflug ins Kinderbuch
„Perla und der Pirat“ von Isabel Allende – Vorlesung 11/25
Inmitten des Schweigens
„Aga“ von Agnieszka Lessmann – Literatur 11/25
Die Liebe und ihre Widersprüche
„Tagebuch einer Trennung“ von Lina Scheynius – Textwelten 11/25
Mut zum Nein
„Nein ist ein wichtiges Wort“ von Bharti Singh – Vorlesung 10/25
Kindheitserinnerungen
„Geheimnis“ von Monika Helfer und Linus Baumschlager – Vorlesung 10/25
Im Spiegel des Anderen
„Der Junge im Taxi“ von Sylvain Prudhomme – Textwelten 10/25
Die Front zwischen Frauenschenkeln
„Der Sohn und das Schneeflöckchen“ von Vernesa Berbo – Literatur 10/25
Von Ära zu Ära
Biographie einer Metal-Legende: „Sodom – Auf Kohle geboren“ – Literatur 10/25
Kutten, Kohle und Karlsquell
Lesung „Sodom – Auf Kohle geboren“ in Bochum – Literatur 10/25