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Blutroter Ritualraum in Hermann Nitschs Atelier
Foto: Tayfun Belgin

Nur blutige Innereien auf nackten Körpern

20. Dezember 2018

Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch in Hagen – kunst & gut 01/19

Eine Werkschau über Hermann Nitsch verspricht schon im Vorfeld einiges. Fragen nach Beschränkungen, Fragen nach Beschilderung, Fragen nach dem Wiener Aktionismus in seiner Gesamtheit. Was einem, der Nitsch 1982 auf der „heiligen“ Rudi Fuchs-documenta 7 entdeckte und später an einem der Orgien-Mysterien-Theater als Zuschauer (!) teilgenommen hat, fehlt, ist dieser bestialische Geruch, der die Aktionen oft begleitete. Aber Hermann Nitsch, der im August 80 Jahre alt geworden ist, hat vorgesorgt und im Hagener Osthaus Museum einen ganzen Raum mit Geruchs- und Geschmacksstoffen installiert, der sein Orgien-Mysterien-Theater konservieren soll. Irgendwie mutet das alles wie eine sterile Apotheke an. Gallonen mit farbigem Wasser, Flaschen mit undurchsichtigem Inhalt, niemand will allen Ernstes daran riechen, der je auch nur ein Video des genialen Aktionskünstlers gesehen hat.

Neben einem kleinen Raum mit Monitor, der den Meister beim „Rumsauen mit Farbe“ zeigt, bilden die Grafiken einen ersten Ankerpunkt. Natürlich ist „das Rumsauen“ liebevoll gemeint, denn Nitsch kam in Österreich nicht aus dem Nichts. Immerhin hat er ein Diplom von der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien. 1957 fing er als Gebrauchsgrafiker am Technischen Museum an. Allerdings war das geregelte Leben schnell vorbei und die Auseinandersetzung mit dem Orgien-Mysterien-Theater und der Staatsmacht begann, in den frühen 60ern wanderte der Meister des Zelebrierens auch ab und an in den Wiener Knast und 1968 endgültig in die BRD, wo er an der Frankfurter Städelschule bis zu seiner Emeritierung 2003 eine Professur für Interdisziplinäre Kunst innehatte.

Doch zurück ins Hagener Kunstquartier. Nach den großformatigen Grafiken und den sogenannten Schüttbildern, wo fließende, meist rote Farbe in der Bewegung gestoppt wurde und so ein inhaltlicher Verweis auf die vielen Aktionen wurden, kommt man endlich in das erste Spektakulum, ein hoher Raum in Petersburger Hängung voll mit 41 großformatigen Schüttbildern. Hermann Nitsch hat immer ordentlich rote und schwarze Ölfarbe verbraucht. In der Mitte die sakrale Installation aus einem hölzernen Gerüst mit Priestergewand. Das Ganze kennt man unter dem Titel „Ritual“, der Aufbau variiert, die Objekte wechseln, doch die Intention bleibt, auch die Reihungen aus Papiertüchern und Zuckerstücken. Hier und da stehen Wandschlitten, deren Attitüden auch bekannte beuyssche Metaphern nutzen. Wände voller gelber Mysterienaltar-Installationen mit Reliquien der Orgien müssen den Erstbesucher fast sprachlos machen. „Was mich immer fasziniert hat, war die Kreuzigung, die Pietá und die leidende Mutter Gottes“, wird der Künstler zitiert, der die Schöpfung liebt und die Form in der Kunst sehr wichtig findet. Also doch keine Teufeleien.

Eine Treppe hoch (mit kleiner Warntafel, aber ohne Ausweispflicht) dann endlich die Dokumentation dessen, was ihn weltweit berühmt gemacht hat. Im Video sieht man das Orgien-Mysterien-Theater als Abziehbild der Realität, denn da war beim Schlachten und Blut-Schütten über junge gekreuzigte Student*innen-Körper das Dabeisein unumgänglich. Irgendwann tauchte in der hier gezeigten Version ein gelber Bagger auf, der Erde über die Leiber schüttete, ein Panzer kreuzte das Vorfeld. Viel mehr als Fotos, ein paar Videos und diverse Aktionsrelikte sind natürlich nicht geblieben, aber vielleicht gibt es seitdem ein paar Vegetarier mehr.

Hermann Nitsch – Werkschau | bis 3.2. | Osthaus Museum Hagen | www.osthausmuseum.de

PETER ORTMANN

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