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Cie. Beau Geste aus Frankreich: Ein Tänzer und ein Schaufelbagger tanzen unter freiem Himmel ein hingebungsvolles Pas de deux
Foto: FIDENA

„Nicht alles, was irgendwo passiert, ist gleich eine Performance“

29. März 2012

Die diesjährige FIDENA in Bochum, Essen und Herne zeigt 20 internationale Figurentheater-Kunstproduktionen - Sammlung 04/12

Ist Puppenbau Kunst, das Präsentieren nur Theater? Gibt es einen Unterschied zwischen Bildender und Darstellender Kunst? Ein Indiz könnte das Motto der diesjährigen FIDENA sein, die sich dem blank page verschrieben hat, das immer neu beschriftet, immer neu bemalt oder neu geformt werden will. Dieser Akt des immer wieder neu Anfangens zieht sich durch das gesamte Programm der FIDENA. trailer sprach darüber mit der Festivalleiterin Annette Dabs.

trailer: Frau Dabs, australische Papierperformance, belgisches Tanztheater – wie sehr hat sich das Figurenspiel vom Theater entfernt?
Annette Dabs:
Theater ist Kunst, und Bildende und Darstellende Kunst sind Dinge, die sich gegenseitig befruchten. Wenn man versuchen wollte, das auseinanderzudividieren oder zu sagen, Figurentheater habe nichts mit Performance oder mit Bildender Kunst zu tun, das funktionierte gar nicht, denn Figurentheater ist per se eine Mischung aus beidem. Da wird zuerst mit Material gearbeitet, wenn man von der Puppe ausgeht, das ist ein Vorgang, wie auch ein Bildhauer seine Skulpturen bearbeitet. In dem Moment, wo man es schafft, so kunstfertig zu sein, diesen ehemaligen Klotz zu animieren, auch das wieder mit Handwerk, dann bewegt sich das zu einer Figurentheaterkunst.

FIDENA hat Rubriken wie Kunstpiep, Kunstcache, Kunstrausch, auch verbal ist das ziemlich nah am zeitgenössischen Kunstbetrieb.

Das stimmt. Wir bemühen uns, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass das herkömmliche Image vom Figurentheater verkehrt ist, wenn man immer glaubt, das sei die Augsburger Puppenkiste oder auch Kasperletheater. Dem versuchen wir, ganz offensiv entgegenzuwirken, mal etwas stärker an der Bildenden Kunst oder mal etwas stärker am Tanz oder vielleicht mal nur mit Musik. Das Allerwichtigste ist, dass die Performance für den Zuschauer eine ganz starke künstlerische Qualität hat. Danach wähle ich für die FIDENA aus.

Und Performance braucht eigentlich auch kein Theater?

Überhaupt nicht. Man kann Performances auch bei seinem Nachbar im Garten machen, man kann sie ausschließlich im Internet machen, wie wir es im letzten Jahr auch gezeigt haben. Eine Performance braucht aber einen Rahmen, ein Einverständnis zwischen demjenigen, der sie anbietet, und demjenigen, der sich darauf einlässt. Und den Willen des Künstlers zu dieser Verabredung. Nicht alles, was tatsächlich irgendwo passiert, ist gleich eine Performance.

Aber ist die Grenze zur Bildenden Kunst mit der Schnittmenge aus Video und installierter Materialkunst nicht endgültig überschritten?

Ich passe schon auf, dass wir nicht Arbeiten im Programm anbieten, die man besser auf anderen Festivals sehen sollte. Bestimmte Sachen gehören ins Essener Folkwang Museum oder eben in die Schauspielhäuser. Bei der FIDENA gibt es oft ein Zurückkehren zu den Wurzeln oder ganz puristische Dinge, die sich gar nicht mit Videos beschäftigen.

Künstler hauchen den Puppen fast tatsächliches Leben ein. Sind das dann Figuren zwischen Golem und Frankenstein?

Das kommt immer darauf an, wie unser Kopf die Objekte einordnet. Natürlich hat auch der Künstler das im Griff, kann das also beeinflussen. Zwischen Golem und Frankenstein bewegen sich die meisten Puppen gar nicht, eher in die Richtung sehr starke Individuen, die genau diese Schwächen menschlicher Charakterzüge haben, oftmals eine sehr große Poesie mit sich tragen, die Schauspieler nicht so auf die Bühne kriegen. Sie können auch beängstigend werden, denn das, was in uns an Grausamkeit oder Anarchie steckt, kann die Puppe voll zum Leben bringen. Aber im Prinzip wird, glaube ich, jeder Figurentheaterkünstler erst mal versuchen, stark aus dem zu schöpfen, was tatsächlich in den Menschen drin ist. Aber Figurentheater geht nicht in Richtung Monster.

Wie wichtig ist der Raum, in dem die Geschöpfe ihre Geschichte erzählen?

Der Raum spielt eine immer größere Rolle. Wobei oftmals der Raum selbst schon die Geschichte erzählt. Es geht bei uns in dem Bereich gar nicht mehr so sehr darum, dass es Text gibt. Text wird ja manchmal durch das, was im Raum passiert, schon ersetzt. Das heißt, das Konzept, wie ein Raum gestaltet ist, und ob man sich in einem Bühnenraum bewegt, oder ob man sich in einem ganz anderen Raum bewegt, ist meistens schon die Geschichte selbst.

Gibt es erst die Geschichte, dann die Geschöpfe, oder umgekehrt?

Das ist sehr unterschiedlich. Ich weiß aber von vielen, die ausschließlich aus dem Bereich Figurentheater kommen und da meistens auch eine Diplomausbildung haben, dass sie zunächst Puppen im Kopf haben, aus denen sich dann Text entwickelt. Oft ist es so, dass die Figur Text und Sprache eines Themas selbst vorgibt. Als letztes wird meist der Raum entwickelt. Anders ist das bei der Fleur Elise Noble, einer australischen Bildenden Künstlerin, die kommt von der Zeichnung. Sie entwickelt ihren gesamten Kosmos aus dem leeren Blatt Papier. Das heißt, alles was sie macht, fängt damit an, wird in Nullkommanichts entwickelt, entwickelt sich weiter in Richtungen, die Fleur vorher selbst nicht ahnen konnte, wenn sie den Strich ansetzt, immer wieder zerstört, bis hin zum Verbrennen, Zerstückeln, Zerknüllen und Wegwerfen. So entwickeln sich auch ihr Bühnenbild, die Puppen und der Text, sogar die Idee des ganzen Stückes.

Ist das Figurentheater heute eine neue Kunstsprache, die eher den künstlerischen Diskurs bräuchte?

Also es gibt einige Ansätze, die eher die Diskussion über die Frage anregen, wie präsentiert man Kunst. Die Eröffnung mit Ivana Müller wäre ein gutes Beispiel dafür. Da wird es sicherlich so sein, dass die Form der Präsentation von Theater zur Disposition gestellt wird. Dass der Zuschauer am Anfang völlig sprachlos, sogar fassungslos ist, dass auf der Bühne nichts, aber auch gar nichts passiert. Das wechselt dann zu Erstaunen, zu einem etwas ungläubigen Einlassen. Irgendwann entsteht Mitgefühl mit denen, die da stehen, man spürt den Schmerz und dann Bewunderung – und die Fantasie fängt an zu fliegen, und zwar in Höhenflügen. Die Zuschauer stellen dann fest, dass Theater ausschließlich im Kopf stattfindet.

FIDENA 2012 I 10.-20. Mai I Bochum/Essen/Herne I 0234 477 20

INTERVIEW: PETER ORTMANN

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