Die Berliner Band Mutter um Max Müller hatte immer etwas stoisches, fast trotziges. Mit ihrem Noiserock lagen sie immer ein wenig neben dem, was gerade so angesagt war, sie waren auch im Underground Außenseiter. Da verwundert es nicht, wenn ihr neues Studioalbum – das elfte seit 1989 – „Der Traum vom Anderssein“ heißt. Es grummelt, dröhnt und schleift auf den Stücken zwischen fünf und zehn Minuten, und doch ist da immer Platz für zarte Gedanken und sogar Melodien, zwischen all dem Noise. Nach wie vor tolle Band, tolle Platte (Die eigene Gesellschaft). Die Wiederveröffentlichung von „Time‘s Up“ macht den radikalen Bruch spürbar, den Punk 1976 bedeutete. Die Buzzcocks um Pete Shelley und Howard Devoto nahmen 1976 ein Demo auf, das erst 1978 als Bootleg erschien. Darauf finden sich zur Hälfte Stücke der ersten beiden Singles und des ersten Albums, außerdem Coverversionen von The Troogs oder Captain Beefheart. Roh, energetisch und mit einer Prise Pop. Der Rest ist Geschichte: Die Trennung von Devoto, der die Band Magazine gründete, Hits wie „Ever Fallen in Love“, drei tolle Post-Punk Alben. Begonnen hat das alles hiermit. (Domino).
Jarvis Cocker von Pulp hat sich mit Chilly Gonzales zusammengetan und mit „Room 29“ eine Hommage an das Berühmte Hotel Château Marmont in Hollywood bzw. dessen legendäres Zimmer Nr. 29 und seine illustren Gäste verfasst. Gonzales streichelt zärtlich die Tasten seines Klaviers, während Cocker dezent croont. Eine süße, melancholische Zeitreise, die an Jean Harlow, Howard Hughes oder Mark Twains Tochter Clara erinnert (Deutsche Grammophon). Der Schlagzeuger und Pianist Daniel Brandt, bekannt vom Elektro-Akustik-Trio Brandt Brauer Frick, begibt sich mit „Eternal Something“ auf Solopfade. Die Idee, ein Album nur mit Becken zu bestreiten, ist ihm schnell aus den Fugen geraten. Das Ergebnis ist aber dennoch oder gerade deswegen beeindruckend. Sein akustischer Techno steigt auf, schwebt, vibriert und kreiselt. Ambiente Stellen und die repetitiven Minimalmuster sind vielleicht auch durch seine Arbeit an Steve Reichs „Six Pianos“ stärker hervorgetreten. Ein tolles Album (Erased Tapes). Nach den ersten beiden Teilen veröffentlicht Ulrich Troyer nun „Songs for William 3“. Wieder begegnet einem dieser spielerisch leichte Analog-Dub des Wieners, der einen federnd und mit einem lächeln im Gesicht auf eine entspannte Reise schickt. Dazu gibt es einen charmanten Comic (4Bit Productions).
King Ayisoba aus Ghana gehört wie die kongolesischen Gruppen Konono No. 1 und Kasai Allstars zu den Bands, die ihre rohe Folklore elektronisch verstärken oder mit elektronischen Sounds unterlegen, ohne sich soundästhetisch an westlichen Standards zu orientieren. Das interessiert schon länger die belgische Punk-Legende The Ex, die bereits mit Konono No. 1 spielte. The Ex‘s Arnold de Boer hat nun King Ayisobas neues Album „1000 Can Die“ produziert, und das Ergebnis ist alles andere als glatt geschliffen. World-Charts ade, aber die Energie der Platte – vom Gesang bis zu den tribalistischen Percussions – bläst einen um (Glitterbeat). Mehr Chancen auf die Wold Music Charts haben sicherlich Mokoomba mit „Luyando“. Das ist nicht negativ gemeint: Die Band aus Zimbabwe ist vor allem für ihren Zimrock bekannt, spielt hier aber wunderschöne akustische Songs mit viel traditionellem Gesang und Percussion (Out here).
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