Fremdartig klingende Satzfetzen werden gemurmelt und mit Merlot gefüllte Gläser zwischen Neonröhren gegeneinander gestoßen. Die Stimmung ist erwartungsvoll und doch gelassen. Unter elegant gekleideten Menschen blitzt vereinzelt eine Rastalocke auf, die sich widerspenstig an eine Kurzhaarfrisur krallt. Das kommt einem spanisch vor? Fast, denn es geht portugiesisch zu.
Im Konzerthaus in Dortmund gastiert Madredeus. Die portugiesische Band tourt mit ihrem aktuellen Album „Essência“ durch die Lande und präsentiert das extrahierte Ergebnis aus mehr als 200 Liedern. Madredeus ist ein Export-Erfolg aus Lissabon und besteht seit 25 Jahren. Die Band hat seit ihrer Gründung nicht nur ein immenses Repertoire an Liedern gewonnen, sondern auch neue Mitglieder kommen und gehen gesehen. Vielleicht macht genau diese Entwicklungsgeschichte das portugiesische Musikensemble zu so einer standfesten Größe im internationalen Musikgeschäft. Denn Madredeus bedient sich aus dem eigenen Liederpool, arrangiert und besetzt neu und stellt die Musik in den Vordergrund. Da musizieren sechs Portugiesen und man wird das Gefühl nicht los, dass dort „eine Coverband ihre eigenen Lieder spielt“, wie es ein Konzertbesucher treffend beobachtet.
Hätte Pedro Ayres de Magalhães diese Einschätzung gehört, wäre das eine Bestätigung dafür, dass sich die Grundidee der Wiederaufnahme durchsetzt. Denn im Prinzip wurde mit dem Musikprojekt etwas so einzigartiges geschaffen, dass sogar die Schöpfer selber als Interpreten dieses Musikstiles wahrgenommen werden. Madredeus ging es stets um etwas Wesentlicheres, mehr als nur eine Gruppe zu sein, die Musik komponiert. Sie wollten Arrangements kreieren, die Portugal über den Fado hinaus repräsentieren. Musik mit portugiesischen Texten für internationale Ohren. Das dann Fans den Austritt der ersten Sängerin Tereza Salgueiro betrauern, obwohl die Neue, Beatriz Nunes eine perfekt ausgebildete Stimme besitzt, ist einfach der Gewohnheit geschuldet.
Pedro Ayres de Magalhães ist schon ein Schritt voraus und hebt Madredeus auf eine neue Ebene. Die minimalistische Bühneninszenierung verdeutlicht, dass hier die Musik im Vordergrund steht und der einzelne Musiker immer als Teil des Ganzen zu sehen ist. Für Individualisten ist hier kein Platz. Es geht um die Musik, die eigentlich im Raum schwebt und sechs Musiker auf schwarzen Podesten, beleuchtet von Scheinwerfern, greifen in die Luft und leihen sich die Noten für knapp zwei Stunden aus. Auch der Bandbegründer Pedro Ayres de Magalhães sieht in den stückweise epochalen Klängen einen Musikstil, der fast ausschließlich seinen Zweck in der natürlichen Heimat, dem Umfeld einer Bühne, erfüllt.
In Dortmund erlebte ein gemischtes Publikum von langjährigen Zuhörern bis zu ahnungslosen Besuchern die Anmut von sechs Portugiesen, die ungewohnt bescheiden, eine raumsprengende Musik entfesselten. Beatriz Nunes mit einer klaren und verlässlichen Sopranstimme wurde eingerahmt von zwei Violinisten, António Figueiredo und Jorge Varrecoso. Dahinter taktangebend Pedro Ayres de Magalhães an der Gitarre. Luís Clode am Violoncello und Carlos Maria Trindade mit einem effektvollen Synthesizer. Zusammen führten sie durch einen Abend, der in der ersten Hälfte die typische Wehmut Portugals mit klanglichen 3D-Effekten durch den Synthesizer das Kopfkino anschaltete. Schwebte manch einem Zuhörer dann Filmsequenzen von Portugals dramatischen Küsten und brechenden Wellen vor, so wurde die Träumerei in der zweiten Hälfte des Konzertes von temperamentvollen Gitarrensoli und Zupf-Arrangements der Saiteninstrumente unterbrochen.
Wie ein Crescendo spannte das Konzert einen dramatischen Bogen, der nach drei Zugaben im Happy End endete. Einziger Wehrmutstropfen. Die weiche portugiesische Sprache nicht zu verstehen, lässt den ein oder anderen im Dunkel tappen. Die eindrucksvolle Gesichtsmimik von Beatriz Nunes dient zwar als Stimmungsbarometer, doch die Poesie der Texte bleibt dem Unwissenden verborgen. Das Fundament von Madredeus steht und ein klares Zeichen wurde gesetzt. Veränderung, ja. Aber die Grundessenz bleibt. Obrigada.
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