Eine Vielzahl von Lebewesen, die sich – scheinbar von kollektivem Geist gesteuert – in dieselbe Richtung bewegen, sich gegenseitig absichern, bei dieser Art der Fortbewegung auch energieärmer vorwärts kommen: Man nennt sie „Schwarm“. Der Begriff hat in den letzten Jahren Konjunktur. In Frank Schätzings Öko-Thriller ist es eine unbekannte maritime Lebensform, die sich gebündelt gegen die Menschheit wehrt. Mit „Schwarmintelligenz“ will die Piratenpartei ein Parlament nach dem anderen entern. Und als Schwarm schicken sich zentral gesteuerte Klein-Kraftwerke an, den großen Atom- und Kohleverstromern Paroli zu bieten.
Bernd Uhlen aus Duisburg ist seit April Teil eines solchen Schwarms. Mit der Familie hatte er lange überlegt, wie man die Ölheizung für das Haus mit Wohnräumen, Büro und therapeutischer Praxis durch eine sinnvolle Alternative ersetzen könnte. „Solarthermie schied wegen des verwinkelten Daches aus. Erdwärme anzuzapfen war zu teuer. Erst recht der Fernwärmeanschluss, den wir favorisierten: Obwohl die Schiene nur in 50 Metern Entfernung vorbeiführt, hätte der Anschluss gut 100.000 Euro gekostet.“ Und ein Blockheizkraftwerk für den Keller fand Uhlen bei 35.000 Euro Einstiegstarif ebenfalls „schweineteuer“.
Nun brummt in seinem Keller doch ein Motor, der Wärme und Strom liefert. Und Uhlen ist zufrieden: „Mir gehört zwar nicht die Anlage. Aber das stört nicht – die Hose, die ich trage, die soll mir gehören.“ Der Trick: Die Familie hat lediglich den Kellerraum zur Verfügung gestellt. Energie erzeugt wird mit einem Aggregat, das VW und der Hamburger Ökostrom-Anbieter „Lichtblick“ als „Zuhause-Kraftwerk“ gemeinsam reinstellten. Im Herbst 2009 angekündigt, sorgte es zunächst nur für enormen Medienwirbel. Inzwischen gehen auch die Stückzahlen nach oben. Rund 450 Schwarm-Stromer sind nunmehr installiert, die Hälfte läuft im Pilotgebiet Hamburg. Aber auch in Duisburg, Essen, Castrop und Gelsenkirchen halten die Kraftpakete Einzug.
„Wir wollen auf 100.000 kommen“, sagt Ralph Kampwirth. Der Lichtblick-Sprecher erklärt den gemächlichen Hochlauf damit, dass man bei Bekanntgabe der Kooperation mit VW gerade begonnen habe, das Produkt zu entwickeln. Ende 2010 sei man zu den ersten Kunden gegangen. Inzwischen gebe es „eine hohe Akzeptanz – und das Interesse ist riesig.“
Bei 20 kW Stromleistung pro Motor wäre am Ende eine Erzeugungsmenge im Schwarm formiert, die zwei große Atom- oder Kohlekraftwerke ersetzt. Das Unternehmenskalkül: Wenn man, zentral gesteuert, den Schwarm innerhalb von 60 Sekunden auf Vollleistung hochfahren kann, ist man den trägen Großblöcken meilenweit voraus. Etwa wo es gilt, teuren Regelstrom bereitzustellen, der schnell zur Abwendung von Stromengpässen benötigt wird. Oder zur Überbrückung von Energielücken, die Solar- und Windkraftwerke lassen werden. Sowieso wirft Lichtblick die Kellerkraftwerke schon jetzt mit Vorliebe gegen 13 und 19 Uhr an und speist den Strom ins Netz, wenn Spitzenbedarf auch Spitzenpreise verspricht.
Als Abfall der Stromerzeugung fällt Wärme an, mit der die Hauseigner versorgt werden. Der Umstand, dass ein Zeitpunkt optimaler Stromerzeugung nicht unbedingt mit dem des Heizwärmebedarfs zusammenfällt, wird in der Regel mit 2.000 Litern Wasserspeicher abgepuffert. Aus dem bedienen sich die Heizkörper, wenn Stromerzeugung gerade nicht lohnt und der Gasmotor Pause macht. Der Ökostrom-Anbieter Lichtblick greift als offizieller Betreiber der Keller-Kraftwerke übrigens noch nicht auf erneuerbaren Brennstoff zurück. Zwar ist man laut Kampwirth mit inzwischen 85.000 Biogas-Kunden Deutschlands Marktführer in diesem Segment, doch wolle man mit der VW-Kooperation erst einmal zeigen, „welches Potenzial in der Mini-Kraft-Wärme-Kopplung steckt.“ Deren Wirkungsgrad liege schließlich bei beachtlichen 90 Prozent. Dies könne „auf Jahrzehnte hinaus ein Pfeiler der Energiewende sein.“
Der energetische Schwarm-Lichtblick rief in den letzten Monaten eine Reihe von Konkurrenten auf den Plan. Die Großversorger RWE und Vattenfall wollen ihren Kunden ebenfalls die kleinen Keller-Kraftwerke andienen. Mitte April trat selbst die Deutsche Telekom auf den Plan: Sie bietet zusammen mit dem Blockheizkraft-Hersteller „Motoren AT“ insbesondere Stadtwerken ein Komplettpaket an. Dieses könnten die Lokalversorger ihren Kunden weiterreichen und die kleinen Strom- und Wärmemaschinen dann gebündelt als „virtuelles Kraftwerk“ vor Ort steuern. „So gleicht man künftig Schwankungen im Stromnetz auf Knopfdruck aus“, lässt sich die Energie-Managerin Gabriele Riedmann de Trinidad zitieren. Die Telekom will daran über ihre Kommunikationsnetze mitverdienen.
Der Kunde vor Ort aber fragt: „Watt kost’? Und was sind die Bedingungen?“ Lichtblick lässt sich auf die Installation erst ab einem Jahresverbrauch von 40.000 kWh Wärmeenergie ein. Das Einfamilien-Reihenhaus kommt in der Regel nicht auf diese Menge. Dann wird ein passender Keller benötigt – und ein vorhandener Gasnetz-Anschluss. Zudem zahlt der Hauseigner einen Geräte-Zuschuss von mindestens 5.000 Euro und einen kleinen Anteil für Wartung. Inklusive der Schornsteinfegergebühr macht das bei Bernd Uhlen etwa 180 Euro im Jahr aus. Dafür bekommt er eine – eher symbolisch zu nennende – „Kellermiete“ sowie einen ebenfalls eher geringen Anteil am Erlös des produzierten Stroms. Zahlt aber einen Heizpreis, der sich nicht an den Gasmarkt-Tarifen orientiert, sondern am Wärmepreis-Index des Statistischen Bundesamtes.
Die Duisburger Familie Uhlen hat sich errechnen lassen, dass ihre bisherige Jahres-Ölrechnung von 5.000 Euro so auf 4.000 Wärme-Euro sinken könnte. „Aber selbst wenn das so nicht einträfe“, sagt Bernd Uhlen, „dann ist doch der Ersatz von 6.000 Litern emissionsreichem Öl durch einen wesentlich CO2-ärmeren Energieträger auf jeden Fall ein Gewinn.“ Seinen alten Öltank hat Uhlen übrigens unlängst eigenhändig aus dem Garten gebuddelt. Demnächst soll er – noch gut erhalten – bei Ebay zum Verkauf stehen.
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