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Liesbeth Coltof (l.)
Foto: Fatih Kurceren

„Viele Leute sind froh, dass sie in Bochum sind“

25. Mai 2022

Liesbeth Coltof über „Hoffen und Sehnen“ – Premiere 06/22

Liesbeth Coltof inszeniert auf dem Bochumer Theatervorplatz ein OpenAir-Sommertheaterspektakel über die Probleme der Migration im Ruhrgebiet. Autor Akın Emanuel Şipal schrieb Geschichten, die in der Stadt nicht oft erzählt werden.

trailer: Frau Coltof, ein Sommertheatererlebnis auf dem Schauspielhaus-Vorplatz, ist man da mehr Regisseurin oder Dompteuse?

Liesbeth Coltof: Eigentlich ein bisschen von beidem. Man arbeitet mit einem sehr großen Ensemble von Schauspielern und Laien und das muss man natürlich dirigieren, mit den Leuten sprechen und helfen zu verstehen, was wir tun. Wir haben außerdem um uns herum laute Autos, Fahrräder und viele Menschen kommen und gehen auf diesem Vorplatz.

Worum geht es denn in den zahlreichen Geschichten?

Es geht um die türkische und polnische Migrationsgeschichte von Bochum. Als Johan Simons mich gefragt hat, etwas auf dem Vorplatz zu machen, habe ich ihm die Frage gestellt:Welche Geschichte in Bochum wird nicht oft erzählt? Und dann haben die Dramaturgen im Schauspielhaus gleich gesagt, das sei die Geschichte von der Migration im Ruhrgebiet. Zusammen mit dem tollen Autor Akın Emanuel Şipal haben wir ganz viele Interviews mit polnischen und türkischstämmigen Menschen geführt, oft auch deutschen, die aus dieser Migrationsgeschichte stammen. Und aus dem Material haben wir ein Stück entwickelt, das hoffentlich ein schönes, gutes und ehrliches Bild davon abgibt, wie das war und wie es jetzt eigentlich immer noch ist.

Da geht es dann auch um die Probleme der unterschiedlichen Generationen?

Sicher. Die dritte oder mit der polnischen Migration ist es oft schon die vierte oder fünfte Generation. Die fühlen sich natürlich voll als Deutsche – das sind ja auch Deutsche – aber auf der anderen Seite wissen sie, dass sie auch diese historische Geschichte haben. Was wir zum Beispiel bei diesen Gesprächen bemerkt haben, ist, dass oft diese dritte, vierte Generation die ursprüngliche Sprache nicht mehr so gut spricht und sich dann schämt, denn sie ist immer noch ein bisschen zwischen zwei Welten hin- und hergerissen.

Hat das Stück eine durchlaufende Dramaturgie?

Ja. Wir arbeiten mit der Grundannahme, dass die Stadt alle 50 Jahre ein neues Gesicht hat. Dasssich entweder das Gesicht der Stadt ändert oder es vielleicht einen neuen Bürgermeister gibt. Das Stück fängt an mit Leuten, die sich fragen, wie sich alles verändert, und so folgen wir ihnen auf ihrem Weg durch die Stadt, treffen sowohl den Bürgermeister und eben auch die Migranten und am Ende kann man hoffentlich verstehen, in was für einer Stadt wir sind. Und vielleichtfangen jetzt alle an, esnoch besser zu machen.

Ist denn der ehemalige Schmelztiegel Ruhrgebiet der richtige Ort für so ein Stück?

Ich denke, ja. Die Migrationsgeschichte im Ruhrgebiet ist ganz groß und es leben viele Menschen im Ruhrgebiet, die von überall herkommen. Es ist ganz wichtig, dass wir uns die Zeit nehmen, uns alle ihre Geschichten anzuhören. Die Zeit ist aber oft nicht da. Aber wenn wir die Geschichte voneinander hören, dann verstehen wir, dass wir eigentlich alle Menschen sind, die auf dem Weg in ein gutes Leben sind.

Warum sind denn keine Italiener im Stück?

Das haben wir am Ende nicht gemacht, weil das zu viel für diese zwei Stunden geworden wäre. Am Anfang habe ich auch gedacht, die Italiener müssten dabei sein. Aber wir können sicher auch noch ein Stück darüber machen. Im Stück begegnen wir einer polnischen Familie und wir begegnen einer türkischen Familie in zwei, drei Generationen.

Beeinflusst Putins Ukraine-Krieg die Inszenierung?

Das beeinflusst die Inszenierung natürlich sehr. Bei den Schauspielern, besonders bei den Schauspielern mit Migrationsgeschichte.Einige sind vor langer Zeit aus Polen hierher geflüchtet und die haben das Gefühl, dass sich etwas wiederholt, das sie auch mitgemacht haben. Und natürlich beschäftigt uns auch die Frage, wie stark wir als Gesellschaft sind. Wir nehmen diese Leute auf und versuchen, ihnen ein Leben zu geben. Davon handelt das Stück die ganze Zeit.

Kommen wir zurück zur Migration im Ruhrgebiet, zu den No-go-Areas in Wanne-Eickel oder die gescheiterte Integration in anderen Städten, zeigt sich da eine Perspektive?

Wir sagen nicht, so muss es sein. Wir sprechen über die Migrationsgeschichte und was sie der Region gegeben hat, das ist ja nicht nur eine negative Geschichte. Es gibt ganz viele Leute, die sind froh, dass sie in Bochum sind. Aber die andere Geschichte ist auch da und auch in der neueren Generation ist da ganz viel Schmerz. Wir geben diesem Schmerz Platz und vielleicht kann dieser Schmerz auch heilen. Wenn die Bochumer ohne Migrationsgeschichte merken, dass das schmerzhaft war und dass sie darüber nie nachgedacht haben, dass das schmerzhaft war.

Letzte Frage: Muss man stehen auf dem Platz oder darf man sitzen?

Man sitzt ganz wunderbar auf einer großen Tribüne. Und es gibt etwas zu essen und zu trinken. Es ist ein Spektakel mit über 25 Spielern aus dem Ensemble undmit Laien, die da mitmachen. Ich hoffe, dass es wirklich ein ganz großes Fest wird für alle Bochumer, auch die türkischstämmigen, polnischstämmigen und deutschstämmigen –und die italienischstämmigen.

Hoffen und Sehnen / Umut ve Özlem / Nadzieja i tęsknota | 18. (P),19., 21., 22., 23., 24., 25., 26.6. | Theatervorplatz Schauspielhaus Bochum | 0234 33 33 55 55

Interview: Peter Ortmann

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