Vibrationen, Irritationen, Augenreizung. Über ein Jahrzehnt musste die Region warten ehe mal wieder Kuno Gonschiors flirrende Bilder zu sehen sind. Der ausgewiesene Bochumer Farbexperte hat bis zuletzt an einer Präsentation für Japan gearbeitet, doch dazu kam es nicht mehr, er starb im Kulturhauptstadtjahr-Frühling. Jetzt hat die Kunsthalle Recklinghausen eine schicke Retrospektive für ihn ausgerichtet, in der – wegen der Enge im ehemaligen Bunker – die großen Formate zwar fehlen, die aber durch ihre am Zeitstrahl orientierte Hängung über drei Etagen seinem variantenreichen Œuvre mehr als gerecht wird.
Das Thema Farbe kann ziemlich spröde werden, ehemalige Schüler jeden Alters werden sich an Itten, Lüscher oder gar Goethe erinnern, doch Gonschior machte daraus ein sinnliches Erlebnis, das in den 1970ern oft bis an die Schmerzgrenze ging, wenn sein Punkte – und der Meister machte immer nur kleine oder große Punkte – ein zitterndes Eigenleben entwickelten oder durch angestrahlte Leuchtfarbe zusätzlich den Sehsinn quälten. Doch dabei ging es dem Künstler natürlich nicht. Er malte um der Malerei selbst, deren Substanz nicht nur physisch sondern auch mental erfahrbar ist. Fast schwarze Bilder (o.T. schwarz, 1988) entpuppen sich erst durch Nähertreten als farbig, andere wie das Mittelformat „Vibration-Orange-Rot-Grün“ (Acryl auf Leinwand, 1970) aus dem Nachlass müssen erst mit einer gedachten Lupe betrachtet werden, um die angekündigte Farbe Grün zu finden.
Im dritten Stock hängen die späten Bilder, die jetzt auch zusätzlich durch dickpastose Virtualität und damit fast berührbare Haptik glänzen, auch wegen eingesetzter Gel- und Wachszusätze, die seine Oberflächen teils extrem spiegeln lassen. „Farben sehen“ heißt diese klug dramatisierte Ausstellung, eigentlich denkt man: Klar, kann jeder, doch Gonschior hat sein ganzes Künstlerleben damit verbracht uns die Feinheiten dabei zu zeigen und nebenbei auch noch Goethes Farbenlehre widerlegt, und das ohne inhaltliche Bezüge zu Kunstgeschichte oder Philosophie. 68 Arbeiten, darunter auch Objekte, sind in Recklinghausen zu sehen, seine letzte Arbeit aus 2010 gleicht einer „Maquette“ (Entwurf, Skizze) wegen der für den späten Gonschior ungewöhnlichen Größe (o.T., Leuchtfarbe auf Leinen, 30x30cm).
Kuno Gonschior – Farbe sehen | bis 15.11. | Kunsthalle Recklinghausen | 02361 50 19 35
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Im Tausch
Tick Tack in der Kunsthalle Recklinghausen
„Sowohl Bio als auch Fastfood“
Nico Anklam über Søren Aagaards Ausstellung bei den Ruhrfestspielen 2024 – Sammlung 05/24
Im Herzen des Bunkers
Marianne Berenhaut in Recklinghausen – Ruhrkunst 09/23
„Reaktionen auf Architekturen der Unterdrückung“
Museumsdirektor Nico Anklam über Ângela Ferreiras Kunst in Recklinghausen – Sammlung 06/23
Aus dem Eis
Video-Installationen aus Spitzbergen in Recklinghausen – Ruhrkunst 03/23
„Ich bin Freund der reduzierteren Ausstellungen“
Nico Anklam über „Anders als es scheint“ in Recklinghausen – Sammlung 12/22
Wenn das Bunte unheimlich wird
Flo’s Retrospektive in Recklinghausen – Kunstwandel 06/22
„Sichtbarkeiten für Künstlerinnen schaffen“
Direktor Nico Anklam über Flo Kasearus Retrospektive in Recklinghausen – Sammlung 04/22
Die Fläche aus Papier
Der Kunstpreis junger westen in Recklinghausen
Hinterfragung der Wissenschaft
Mariechen Danz in Recklinghausen – Kunstwandel 07/21
„Farbe zu sehen, sollte zu einer Erfahrung werden“
Kunsthallen-Direktor Dr. Hans-Jürgen Schwalm über Kuno Gonschior – Sammlung 09/20
Verlauf der Linie
Monika Brandmeier in Recklinghausen – Ruhrkunst 11/19
„Mangas sind bei der jungen Leserschaft die Zukunft“
Leiter Alain Bieber über „Superheroes“ im NRW-Forum Düsseldorf – Sammlung 11/24
Der Künstler als Vermittler
Frank van Hemert in der Otmar Alt Stiftung in Hamm-Norddinker – kunst & gut 10/24
Gelb mit schwarzem Humor
„Simpsons“-Jubiläumschau in Dortmund – Ruhrkunst 10/24
„Weibliche und globale Perspektiven einbeziehen“
Direktorin Regina Selter über „Tell these people who I am“ im Dortmunder Museum Ostwall – Sammlung 10/24
Die Drei aus Bochum
CityArtists in der Wasserburg Kemnade – Ruhrkunst 09/24
Orte mit Bedeutung
Zur Ruhrtriennale: Berlinde De Bruyckere in Bochum – kunst & gut 09/24
„Jeder Besuch ist maßgeschneidert“
Britta Peters von Urbane Künste Ruhr über die Grand Snail Tour durch das Ruhrgebiet – Sammlung 09/24
Denkinseln im Salzlager
Osteuropäische Utopien in Essen – Ruhrkunst 08/24
Ausgezeichnet auf Papier
Günter Drebusch-Preis 2023 in Witten – Ruhrkunst 08/24
Räume und Zeiten
Eindrucksvoll: Theresa Weber im Kunstmuseum Bochum – kunst & gut 08/24
Roter Teppich für das Kino
Kino- und Filmgeschichte des Ruhrgebiets im Essener Ruhr Museum – Ruhrkunst 08/24
„Auch die Sammler beeinflussen den Künstler“
Kurator Markus Heinzelmann über die Ausstellung zu Gerhard Richter in Düsseldorf – Sammlung 08/24
„Die jüdische Renaissance ist nicht so bekannt“
Museumsleiterin Kathrin Pieren über „Shtetl – Arayn un Aroys“ im Jüdischen Museum in Dorsten – Sammlung 08/24