Ein Kind hat Vater und Mutter. Das ist die vorherrschende Überzeugung. Vor wenigen Wochen hat Bundesjustizministerin Katarina Barley einen Vorschlag für einen Gesetzesentwurf vorgelegt, durch den Kinder von Geburt an zwei Mütter haben können sollen – eine gebärende Mutter und eine Co-Mutter. Voraussetzung: Die Frauen müssen verheiratet sein oder in einer eingetragenen Partnerschaft leben. Ebenfalls solle es möglich sein, dass die Co-Mutter im Vorfeld die Mutterschaft anerkennt. Bislang mussten lesbische Paare erst ein Adoptionsverfahren hinter sich bringen, damit die nicht-gebärende Frau Sorgerecht bekam. Bei heterosexuellen verheirateten Paaren musste dies nicht geschehen. Unverheiratete brauchten, ähnlich wie im jetzigen Vorschlag, eine Vaterschaftsanerkennung, aber keine Adoption. Denn die Voraussetzungen für eine Familie waren ja quasi erfüllt. Ministerin Barley findet jedoch, dass die momentane Gesetzeslage „teilweise nicht mehr zeitgemäß“ sei und möchte mehr Formen der Familie stärken.
Im Grundgesetz ist dies eigentlich bereits der Fall. Der Schutz der Familie ist dort eines der höchsten Anliegen. In Artikel 6, Absatz 20 steht: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Es ist nicht bestimmt, welche Voraussetzungen Eltern geschlechtlich vorweisen müssen, um als Eltern zu gelten. Es ist nicht definiert, was eine Familie ausmacht. Lediglich das Wohl des Kindes muss gewährleistet sein. Dass dies nicht auch durch zwei Mütter, zwei Väter oder Elternteile, die sich keinem Geschlecht zuordnen, gesichert ist, steht nirgends geschrieben. Im Gegenteil: In Artikel 3 des Grundgesetzes ist die Gleichheit der Geschlechter festgelegt.Warum ist das noch keine gesellschaftliche Praxis? Warum müssen Mütter ihre eigenen Kinder adoptieren? Warum werden Transmänner weiterhin als Mütter eingetragen? Warum müssen gebärende Personen immer ausschließlich Mütter sein?
Zwar sollen laut Barleys Vorschlag auch intersexuelle und transsexuelle Personen berücksichtigt werden, die Person, die ein Kind auf die Welt bringt, wird aber weiterhin als „Mutter“ bezeichnet. Ebenso bleibt bestehen, dass es nur zwei Elternteile geben kann. Nun stellt sich die Frage, was mit Kindern ist, die drei Elternteile (oder mehr) haben. Was spricht dagegen, die Anzahl an Eltern zu erweitern? Der Schutz der Familie würde dadurch nicht schwieriger. Das Wohl des Kindes nicht gefährdet. Die Kommunikation zwischen den Elternteilen müsste natürlich funktionieren. Aber das ist in jeder Familie so.
Natürlich gibt es bereits Gegenwind. Die„Interessengemeinschaft Jungen, Männer und Väter“beklagte, dass die biologische Vaterschaft „marginalisiert“ und nur die Belange von Minderheiten berücksichtigt würden. Schon länger fordert die IG-JMV ein Umdenken in Bezug auf Vaterschaft. Doch so sehr es hier Nachholbedarf gibt, kommt man nicht umhin, ein weinerliches „Und was ist mit den Männern?“ herauszuhören. Zumal Ministerin Barley einige Punkte zur Vaterschaft, beispielsweise zur Samenspende, in ihrem Entwurf aufgegriffen hat. Nun geht es aber darum, die Geschlechtszugehörigkeit von der Elternschaft zu trennen. Kinder machen Eltern, egal welches Geschlecht sie haben.
Die Verfassung der Deutschen - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: choices.de/thema und engels-kultur.de/thema
Aktiv im Thema
geschicktgendern.de | Das Online-Genderwörterbuch zeigt gerechte Formulierungsmöglichkeiten neben Gendersternchen, Binnen-I & Co.
tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel | Der Queerspiegel ist der queere Blog des Tagesspiegels und damit Teil der einzigen Tageszeitung, die sich täglich mit dem Thema beschäftigt.
Gendertreff | Die Plattform für Trans-Personen, Angehörige und Interessierte bietet Erfahrungsberichte und Informationen zu Rechten und Selbsthilfetreffen.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@trailer-ruhr.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Fest, nicht starr
Intro - Grundgesetz
Die Utopie leben
Nicht jeder Staat braucht eine Armee – Europa-Vorbild: Island
„Meine Entscheidung, nicht die der Natur“
Soziologin Katja Sabisch über die „Ehe für alle“
Vom Dritten Reich zum dritten Geschlecht
Leben im Zwiespalt: Die Leiden des 70-Jährigen Grundgesetzes
Die Utopie leben – Vorbild Island
Nicht jeder Staat braucht eine Armee
Kultur ist für alle da
Von gesellschaftlicher Vielfalt auf und vor den Bühnen – Teil 1: Leitartikel
Gentrifizierung auf Griechisch
Investoreninteressen und staatliche Repression im Athener Stadtteil Exarchia – Teil 2: Leitartikel
Hinter vorgehaltener Hand
Freiheit in der smarten Stadt – Teil 3: Leitartikel
Vorwärts nimmer, rückwärts immer
Verkehrswende in die Vergangenheit mit der FDP – Teil 1: Leitartikel
Mercedes oder per pedes?
Lob des Zufußgehens – Teil 2: Leitartikel
Bike Bike Baby
Freie Fahrt fürs Fahrrad – Teil 3: Leitartikel
„Totalverzweckung“ des Menschen
Bildung verkommt zur ökonomischen Zurichtung – Teil 1: Leitartikel
Wunsch nach Anerkennung
Über Erziehung und Kinderglück am Beispiel musikalischer Stars – Teil 2: Leitartikel
Steiles Gefälle
Überlegungen zum Altersglück – Teil 3: Leitartikel
Drei Millionen Liter
Gedanken zur Periodenarmut – Teil 1: Leitartikel
Die normalste Blutung der Welt
Vom Ende des Tabus der Menstruation – Teil 2: Leitartikel
Mysteriöse Körper
Warum die Medizin den weiblichen Zyklus vernachlässigt – Teil 3: Leitartikel
Die deutsche Stadt trotzt der Zukunft
Politik schreckt vor nachhaltiger Infrastruktur zurück – Teil 1: Leitartikel
Prima wohnen
Alternative Rohstoffe in der Baubranche – Teil 2: Leitartikel
Unterirdische Energiebilanz
Kleinbäuerliche Strukturen effizienter als Agro-Industrie – Teil 3: Leitartikel
Nachrichten als Krise
Medienfrust und der Vertrauensverlust des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – Teil 1: Leitartikel
Angst und Unwissen
Ökonomische Bildung darf nicht mehr Mangelware sein – Teil 2: Leitartikel
Klassenkampf von oben
Reiche und ihre politischen Vertreter gönnen den Armen nicht das Schwarze unter den Fingernägeln – Teil 3: Leitartikel
Glaubenskrieg
Politische Narration im bewaffneten Konflikt – Teil 1: Leitartikel
Spiel mit dem Feuer
Taiwan-Konflikt: Westliche Antidiplomatie riskiert Waffengang – Teil 2: Leitartikel