Was ist Malerei heute? Wie ein roter Faden ziehen sich die Überlegungen zu ihrer Aktualität und Einzigartigkeit und zu der Vermittlung zeitgenössischer Inhalte durch das Programm der Neuen Galerie Gladbeck. Die Konsequenz, mit der die Gladbecker „Macher“ Gerd Weggel und Jens Dornheim dies ausloten, wird längst bundesweit beachtet. In der Neuen Galerie stellen kommende Stars ebenso wie etablierte Künstler aus und malen noch speziell auf diesen Ort hin.
Das trifft nun auch auf die Schau mit Henning Strassburger zu. Strassburger wurde 1983 in Meißen geboren, heute lebt er in Berlin. Er hat bei Daniel Richter an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und bei Albert Oehlen an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert. Seine eigene Malerei scheint gegenstandsfrei, geht aber von konkreten Ereignissen aus. Strassburger untersucht, inwieweit heutige (visuelle) Dokumentation mit den Mitteln der Malerei mit dem Informationsfluss der digitalen Medien Schritt hält. Ein Sujet ist der Starkult mit der Legendenbildung mittels rasanter Verbreitung. Diese gesellschaftlich sanktionierten Nachrichten unterhalb jeder wirklichen Interessantheit sind schnell verschlissen, hysterisch und zugleich fragil ….
Sie bilden nun auch den Kontext von Henning Strassburgers neuer Bilderserie. Wenig ist zu sehen, nur Linien, Bögen und Strichfolgen in tiefem Schwarz auf weißem Grund, also ganz ohne Buntfarbe. Auch wenn sie jeweils für sich „funktionieren“, so gehören die neun Tafeln zusammen. Sie verweisen selbst in den Lineamenten aufeinander. Diese wirken in der Präzision ihrer Wiederkehr wie gedruckt, sind aber von Hand gezogen. Es macht Spaß, sich in diese nur anfänglich spröde wirkende Formensprache „einzulesen“, die etwas Comichaftes trägt und einen geradezu plastischen Bildraum erzeugt. Wie Henning Strassburger berichtet, standen zwei Pop-Skandale von globaler Wichtigtuerei am Anfang: die Kussszenen der Pop-Queens Madonna und Britney Spears bei den MTV Music Awards und von Justin Bieber in einem Stripclub. Das erste ist theatralisch inszeniert und das zweite ein „Fake“ der „sozialen Medien“. Die Falschmeldung führt zur Konstruktion von Information. Wie aber übersetzt man das aufgebauscht Profane, dessen Kanäle suggerieren, es sei wichtig und jeder sei dabei gewesen, in eine differenzierende Zeichensprache?
Henning Strassburger hat zu beiden „Ereignissen“ je eine Kohlezeichnung angefertigt. Diese hat er auseinander geschnitten, zueinander collagiert, in wechselnder Positionierung auf die Leinwände projiziert und einzelne Linien mit schwarzer Ölfarbe fixiert. Aus der Nähe sieht man, dass es sich bei den Strichen, Zacken, Verdichtungen tatsächlich um Malerei handelt: als Thema in Variation im Zwischenbereich von Gegenständlichkeit und Abstraktion.
Nebenan, im Lesezimmer, zeigt Henning Strassburger dann, was man bei diesen großformatigen Gemälden gerade nicht sieht. Alles ist anders! Die Formate sind klein, die Darstellungen bunt und realistisch, so dass die Malerei nun wirkt, als wäre sie keine, jedenfalls nicht seine. Strassburger hat die Cover von Jugend-Magazinen vergrößert auf Leinwand abgepinselt, dabei nur die Textzeilen weggelassen. Nun liegt es am Betrachter, die Motive zu werten und ihre Stereotypen etwa bei der Frisur, der Kleidung und dem Auftreten der abgebildeten Teenie-Bands zu destillieren. Diese schrägen Malereien wirken wie ein Schlüssel zum Verständnis der neuen Serie.
Und dann stellt sich hier, in Gladbeck, noch eine weitere Referenz ein, und zwar zu André Butzer, der im vergangenen Jahr in der Neuen Galerie ausgestellt hat. Die Serien der beiden Künstler verbindet die Ausschließlichkeit von hell, licht und dunkel, die (vermeintliche) Wiederkehr freier Formen, die ausgesprochen malerisch vorgetragen sind und irritieren, aber formal ausbalanciert sind und die Bildfläche zum Schwingen bringen. Das alles ist hoch spannend und die Wahrnehmung anregend. Zu sehen einmal mehr in der Neuen Galerie Gladbeck.
„Henning Strassburger – Meditations in an Emergency“ | bis 24.3. | Neue Galerie Gladbeck | www.neue-galerie-gladbeck.de
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