Es ist wohl einer der meist missverständlich zitierten Sätze der Kunstwelt. Joseph Beuys´: „Jeder Mensch ist ein Künstler“ unterschlägt immer wieder den Begriff der damit untrennbar verbundenen sozialen Plastik und die ist nach seinem Verständnis der Mensch selbst, der gefälligst nach seinen Möglichkeiten an sich arbeiten sollte. Das muss natürlich geübt werden und so zeigt die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen im Museum K20 eine Schau zwar unter dem besagten Zitat, aber ohne den Habitus irgendwie im „Jubiläumsjahr“ retrospektiv zu wirken. Am 12. Mai 2021 wäre Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden. Allein zwanzig Museen und Institutionen in Nordrhein-Westfalen reflektieren deshalb die Arbeit des Künstlers vom Niederrhein, weltweit ist der runde Geburtstag sicher Anlass für eine erneute Wahrnehmung seines umfangreichen Werkes und für Neuentdeckungen.
Besitzverhältnisse verändern
„Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys“ ist der wichtige Untertitel der Ausstellung in Düsseldorf. Sie zeigt in Videos und Filmen seine berühmten Aktionen, aber auch Ausschnitte und Fotos aus nicht ganz so bekannten Aktionen. Dagegen oder besser dazu wurden Arbeiten von internationalen zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern in einen Dialog gebracht, die als eine interkulturelle Reflexion oder Hommage an den (echten) anthroposophischen Kosmos des Künstlers gesehen werden können. So ist es auch kein Wunder, das gleich nach dem Entree (nach Kontrolle des tagesaktuellen Corona-Test und gebuchtem Zeitfensterbeleg) die Besucher*innen auf ein Video (2013, Farbe 21:47 min) mit Thich Nhat Hanh vorbei müssen, das den vietnamesischen Mönch und Zen-Meister bei einem Gespräch mit Oprah Winfrey über die Rettung des Planeten zeigt, und wo als zentrales Thema seine Vision für Achtsamkeit und Mitgefühl aller kreativen Menschen in Zusammenhang mit einer verantwortungsvollen Zukunft diskutiert werden. Nun ja, ob das jemals die Besitzverhältnisse verändern wird, wird man sehen, Beuys hat ja einst in Düsseldorf sogar einem toten Hasen noch die Bilder erklärt (gezeigt wird ein 16mm-Film aus der Galerie Schmela, 1965). Seine Arbeit umfasste nicht nur Kunstmarkt, sondern auch Gesellschaft, Politik und die Wirtschaftskreisläufe. Sein Engagement um direkte Demokratie, gegen Atomkraft und militärischen Irrsinn machte ihn zu einer Frontfigur der jungen grünen Partei, die er heute als echter Fundi wahrscheinlich längst verlassen hätte. Sein Boxkampf für direkte Demokratie durch Volksabstimmung 1972 im Rahmen der documenta 5 (ohne Hut!) bleibt jedenfalls unvergessen.
Boxen für die Demokratie
Die Ausstellungschoreografie führt durch offene Stellagen, an denen auch Bildschirme hängen und Zitate zu lesen sind, die mitgeschnittenen Beuys´ Aktionen bilden immer einen infiltrierenden Rahmen für die Installationen der Kollegen. Zu sehen unter anderen Santiago Sierras „Destroyed Word“ Videoinstallation von 2012 aus 10 Screens, Phyllida Barlows Fahnenmeer „STREET“ (2010), das irgendwie auch an die Baumpflanzaktion 7.000 Eichen des Meisters 1982 in Kassel erinnert, aber auch Greta Thunberg ist in einem Portraitfilm. An ihr hätte Beuys – wie ich – sicher viel Freude gehabt.
Jeder Mensch ist ein Künstler | bis 15.8. | Kunstsammlung NRW digital Düsseldorf
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