Zu Recht sind Ausstellungen von Andreas Gursky Kassenschlager. Etliche hatte der Protagonist der „Düsseldorfer Fotoschule“ und Professor an der dortigen Kunstakademie bereits in der Region und ohnehin in den großen Museen der Welt. Geboren 1955 in Leipzig als Sohn eines Werbefotografen, hat er in Düsseldorf in der Fotoklasse bei Bernd und Hilla Becher studiert, die mit ihren sachlichen kleinformatigen s/w-Fotografien anonymer (Industrie-)Architekturen selbst weltberühmt wurden. Gemeinsam mit Studienkollegen wie Candida Höfer und Thomas Struth schloss Gursky vor drei Jahrzehnten daran an: mit überblickenden Aufnahmen, welche architektonische, gesellschaftliche und soziologische Sachverhalte fokussieren und zur Diskussion stellen. Dies geschieht bei ihm meist in Farbe, oft im großen Format und mitunter in Bildfolgen, wobei in jüngster Zeit das Einzelbild dominiert. Seit Jahren schon bearbeitet Gursky seine Aufnahmen digital im Hinblick auf höchste Brillanz und größte Tiefenschärfe, so dass selbst das kleinste Detail erkennbar wird. Besonders bei ornamentalen Motiven (goldglänzenden Kugeln etwa) führt das zu einer geradezu dreidimensionalen Empfindung, die umso mehr die Bewegung des Betrachters vom Abstand bis direkt vor das Bild einfordert. Doch selbst wenn das zu Sehende – erfasst im Zoom oder aber, umgekehrt, aus überschauender Ferne – abstrakt wirkt, so ist es doch reine Wirklichkeit: Andreas Gursky geht es darum, Funktionsweisen und Systematiken unserer Zivilisation freizulegen und am Einzelfall zu belegen.
Das originelle Ausloten der Abstraktion belegt schon das erste Foto in seiner aktuellen Ausstellung, in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf. Es ist eine Wucht. Es ist kleinformatig, und es zeigt, als Ausschnitt, nichts als Ocker, sichtlich mit dem Pinsel aufgetragen und schwungvoll verteilt, so dass sich Hebungen und Senkungen ergeben und nun der Eindruck des Plastischen entsteht. Es vermittelt die Sinnlichkeit und Einzigartigkeit von Kunst, und dabei brauchen wir gar nicht das Motiv selbst zu sehen und dessen Maler zu kennen. Gurskys Foto ist Kunst über Kunst. Und dann zeigt die Ausstellung den politisch denkenden Andreas Gursky mit Fotografien aus der Distanz. Das gilt besonders für die riesigen, an Details berstenden Aufnahmen, in denen Farbfetzen giftig flirren, wie das Amazon-Lager in Phoenix, das Gursky in einem der seltenen Augenblicke, in denen nicht gearbeitet wurde, fotografiert hat. Aus der Nähe erkennen wir die einzelnen Bücher teils in Plastikverpackungen und können sogar die Titel lesen. Am Umschlagplatz provisorischer Organisation auf Durchzug zeigt Gursky die Mechanismen von Kommerz. So abstrakt ist der globale Kapitalismus. So konkret und den Gewinn optimierend seine Vorbereitung ist, so sichtlich sind seine Folgen.
„Andreas Gursky – nicht abstrakt“ | bis 6.11. | K20 Kunstsammlung NRW in Düsseldorf | 0211 838 12 04
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