Nein, die drei aktuellen Ausstellungen konkurrieren nicht miteinander, sie sind auch nicht gegensätzlich angelegt. Tayfun Belgin, der Direktor des Osthaus Museum in Hagen, legt vielmehr Wert auf das gelassene Nebeneinander. Die grandiosen Räumlichkeiten im Neubau des Hagener Museums erlauben mehrere autonome Ausstellungen, die im Hinblick auf die jeweiligen Gebäudeteile ausgewählt und präsentiert sind. Im seitlichen Saal und in den Kabinetten sind die gezeichneten und gemalten Postkarten der „Brücke“-Künstler aus der Sammlung des Berliner Brücke-Museum ausgestellt, im Dialog mit Gemälden und grafischen Arbeiten aus dem Bestand des Hagener Museums. Die postalisch beförderten Nachrichten von Erich Heckel, Karl Ludwig Kirchner oder Karl Schmidt-Rottluff tragen auf der Vorderseite je eine bildhafte Zeichnung, welche die Gedanken- und Formwelt und ohnehin den Duktus dieser Künstler aufgreift und auf kleinem Format verdichtet: Sie sind eindrucksvolle Beispiele für die berühmte Künstlergruppe des deutschen Expressionismus, die Karl Ernst Osthaus im damaligen Folkwang-Museum in Hagen gefördert hatte.
In der zentralen Halle sind parallel dazu Malereien, Reliefs, aber auch Postkarten des Düsseldorfer Malers Bernd Schwarzer anlässlich seines 60. Geburtstags zu sehen. Die konzentrierte Auswahl vermittelt, wie leidenschaftlich und souverän Schwarzer mit Farbe und Gestus umgeht, um seine gesellschaftlichen und politischen Anliegen zu formulieren.
Das Obergeschoss nun ist ganz der 1962 geborenen deutsch-ägyptischen Künstlerin Susan Hefuna vorbehalten. Ihr Werk findet seit ihrem Beitrag auf der Biennale Venedig 2009 und dem arabischen Frühling großes internationales Interesse, jedoch hat sich Tayfun Belgin schon lange davor damit beschäftigt. Seine jetzige Übersicht über die Zeichnungen der letzten zwanzig Jahre ist fundiert. Sie weist direkt in das Zentrum von Hefunas multimedial angelegtem Werk. Dabei: Auf den ersten Blick scheint sich gar nicht so viel auf diesen Blättern zu ereignen. Schwarze horizontale und vertikale Striche liegen in unterschiedlicher Breite über- und nebeneinander und bilden Gitter; teilweise bauen sie sich aus einzelnen, sorgsam gezogenen Stegen auf. Erleben und Notation sind unmittelbar eingefangen. Die Zeichnungen verhalten sich in der Fläche und nehmen doch Raum an, bisweilen scheinen sie sich in die Tiefe zu falten. Susan Hefuna verwendet Transparentpapier, teilweise legt sie zwei solcher zeichnerischer Notate übereinander und steigert so den räumlichen Eindruck.
Ausgangspunkt dieser Formfindungen aber war für Hefuna das Fenstergitter der traditionellen Architektur in ihrer Heimat Ägypten. Zugleich werden die Zeichnungen zu universellen Zeichen, die zwischen Diesseits und Jenseits, Trennung und Verbindung, Nähe und Distanz vermitteln. In ihrem kantigen Aufragen erinnern sie selbst an Bauten – teils tragen sie den Titel „Buildings“. Dabei besitzen sie ornamentale Anmutungen. Hefuna schafft Verdichtungen über die Schwarzwerte (als einzige weitere Farbe findet sich noch Rot), und anschaulich ist, wie genau bei aller Intuition und allem Sich-treiben-Lassen jeder Strich gesetzt ist und zur Verdichtung eigener Erfahrung wird. Hefuna transzendiert Strukturen des öffentlichen Lebens, indem sie diese aus ihrer Subjektivität heraus festhält, und natürlich ist keine Zeichnung wie die andere. Das ist spannend und sinnlich, und wenn das Verbindende der drei Ausstellungen die Suche nach Identität, die Überwindung von Grenzen und der expressive Gestus ist, so erweist sich – bei aller Gleichheit der Gewichte – die Schau der Zeichnungen von Susan Hefuna doch als heimliches Zentrum.
„Susan Hefuna – Buildings“ | bis 2.11. | Osthaus Museum Hagen | 02331 207 31 38
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