Es war ein regnerischer Tag, als unsere kleine Gruppe hoffnungsvoller Dortmunder Architekturstudenten Ende der 1970er Jahre in Richtung Dorsten fuhr, um dort die geplante Traumstadt „Neue-Stadt-Wulfen“ zu bewundern, an der namhafte Wissenschaftler, Stadtplaner und Architekten mitgearbeitet hatten. Viel ist von damals nicht im Gedächtnis hängengeblieben, das Projekt, das 1967 begonnen wurde, ging später auch sang- und klanglos in die Knie. Erst stand alles leer, 2007 sind dann viele Häuser mit über 240 Wohnungen wieder abgebrochen worden. Es war wie eine Fata Morgana, die in der Ferne leuchtete, das Kunstverb „visionieren“ war damals in, vom Mythos geblieben ist aber nur das Verb „wulffen“, mit zwar völlig anderer Etymologie, aber der innere Kern ist irgendwie ähnlich gelagert. Auch damals wurde lange nicht die Wahrheit gesagt, und keiner wollte gleich als Lügner dastehen, weder Planer noch Verantwortliche. Hart bleiben bei der richtigen Unwahrheit ist eben ein kaum zu erklärendes Politiker-Gen. Nun ja. Es geht ja alles weiter, die Spekulatius von Weihnachten sind auch endlich weich geworden, die Immobilien-Spekulanten machen wieder richtig Kasse, und manch eine Ruhrgebiets-Gazette erprobt zum Jahreanfang einmal die Kunst der verklauselten Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Die daraus wild resultierenden Kausalitäten zwingen dabei gleich das Bochumer Museum in die Knie. Und weil alles heute ein Tuwort braucht, von merkeln, schrödern bis riestern, müsste dafür „wahrscheinlichern“ das neue Verb sein. Denn hinter den Guttenbergen liegt gleich Schilda und die „wunderseltsame, abenteuerliche, unerhörte und bisher ungeschriebene Geschichte“ vom Ende des Museums am Stadtparkhört sich unter der Überschrift: „Kunstmuseum steht vor dem Aus“ eher wie ein Streich der Schildbürger an: Nicht heute, nicht morgen, erst 2022 soll das Haus geschlossen werden. Aufreger ist dabei ein Vorschlag unsensibler Kommunalpolitiker-Freaks, die auf der Suche nach neuen Groschen für den Verwaltungs-Silvesterball immer an der Kultur hängenbleiben. Das ist nicht neu, hört sich aber immer wieder innovativ an – zumindest unter Verwaltungsbeamten zwischen dem Revier und diesem klitzekleinen Dorf im sauerländischen Nirgendwo, genannt Arnsberg. Und dann machen sie den Termin auch noch am Renteneinstieg vom Museumsdirektor fest. Cool.
Aber sollte nicht eigentlich kulturelle Bildung gefördert werden, nachhaltig, reichhaltig, von Kindesbeinen an? Wie die Vision einer Traumstadt am Rande des Ruhrgebiets damals steht heute auch nur der polyzentrische Wahn einer Metropole ohne zeitgenössische Architektur und Kultur auf der Agenda einer monopolisierten Medienlandschaft im Revier, die sich seit Jahrzehnten mit ihren alteingesessenen Seilschaften lieber eine goldene Nase verdient. Also wazzen wir mal schön weiter und warten ab. Hinterher fällt uns das wulffen dann wieder leichter.
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