Vogelgezwitscher, eine leichte Brise, sonniges Maiwetter. Der Balkon wird bereits zum Schrebergarten, der schmale Grat vom leichten Dösen hin zum wohligen Traumland ist schnell überschritten. Wirre Wolkengebirge bilden eine knuddelige Landschaft, in der ein riesiger, goldener Thron auf mich wartet. Tausende von weißen Hemdchen klatschen Beifall, Trompeten senden Signale. Möwen schreien, und Kühe muhen. Was ist passiert?
Ich habe die NRW-Wahl gewonnen und bedanke mich bei allen Nichtwählerinnen und Nichtwählern. 40,7 Prozent sind eine deutliche Sprache. Wir sind die stärkste Fraktion im Land, sollten den Ministerpräsidenten stellen, ich schlage Goofy vor. Losgelöst und treudoof könnte er dann die sogenannte „vorbeugende Politik“ der neuen Landesregierung kontrollieren, unsere Opposition wird im Düsseldorfer Landtags-Kreisel ja sowieso nicht mehr gehört werden. „Goofy for president“ skandieren die weißen Hemdchen. Ich muss mich erst mal setzen, obwohl – der Scheißthron ist ziemlich kalt. Was ist passiert? Warum ich? Bin ich die treudoofe Seele? Soll ich das Seelchen an der Spitze ablösen? Und dann? Bin ich nur einer von vielen oder gar das Erste?
Ein Blick auf die Uhr lässt das Blut wieder zirkulieren. Meine Bürgerpflicht. Ich wackele zum Wahlbüro in der alten Schule neben dem neuen Albert-Einstein-Colosseum. Brauch ich meinen Personalausweis? Nee, brauch ich nicht. Bei der geringen Wahlbeteiligung sind sie wohl froh, dass überhaupt einer kommt. Immer noch berauscht vom himmlischen Vergnügen kriege ich den Kugelschreiber in die Hand gedrückt, das Blatt Papier liegt vor mir. Ein paar schnelle Striche, etwas ausmalen, dann ist die Zeit abgelaufen, der gekritzelte Goofy wandert in die Wahlbox. Ja, liebe Freunde vom Stimmbezirk 1409 in Bochum. Ich war das.
Und dann ist es auch schnell wieder vorbei. Der Wähler hat gesprochen, und in meinem Wahlbüro waren noch zwei andere Ungültige. Nix ist heute noch mit Exklusivität, egal wo, irgendwelche Deppen machen immer sofort alles nach. Selbst diese komischen ahnungslosen Web-Piraten. Und dann noch dieses Wahlsystem. Obwohl sich in NRW eigentlich politisch nichts ändert, arbeiten und besteuern wir jetzt noch für 56 Abgeordnete mehr. 56mal rund 10.000 Euro sind 560.000 Euro im Monat. Mal 12 Monate (ich nehme mal einen Taschenrechner, um die Zahl auch visuell zu begreifen) ergibt stolze 6.72 Millionen Euro im Jahr. Geld für Kultur ist da in den kommenden fünf Jahren natürlich nicht mehr vorhanden, dafür florieren wahrscheinlich diverse Immobilienprojekte. Ein wunderbares Thema für Lustige Taschenbücher. Helfen könnten jetzt nur noch Supergoof aus Entenhausen oder Phantomias, die böse Ente. Ich bin froh, mich an dieser Politfarce nicht beteiligt zu haben. Dieses System verarscht seine Bürger, und die machen auch noch fröhlich mit. Im nächsten Jahr sollen wir wieder wählen gehen. Ich überlege schon jetzt, was ich Boshaftes auf den Wahlzettel kritzle. Es ist längst Zeit für eine außerparlamentarische Opposition aus Entenhausen.
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