Theaterchef Ulrich Greb probt im Moerser Schlosstheater Friedrich Schillers „Kabale und Liebe“. Darüber muss geredet werden.
trailer: Herr Greb, das Stück ist, ich zitiere, „Schillers Parforceritt durch die Abgründe des Absolutismus, der sich aus Unterdrückung, Ausbeutung, Korruption, Intrigen und skrupellosem Machtkalkül zusammensetzt“. Hat der Text denn nie seine Gültigkeit verloren?
Ulrich Greb: Nein, das hat er nicht und deshalb machen wir das Stück. Das Schöne ist für mich wie sie die Welt so sehen, trotz allem Plakathaften, das da auch drinsteckt. Manchmal hat man das Gefühl, die Figuren sprechen gar nicht miteinander, sondern treten wie im Parlament an ein Rednerpult und geben erstmal ein Statement von sich. Trotz dass es ideologisch ziemlich auf Linie mit Schillers „Bürgerwelt gegen Feudalherrschaften“ bleibt, sind alle Fragestellungen, die über die 240 Jahre danach entstanden sind, bereits mitformuliert, wenn auch manches vielleicht nicht bewusst von Schiller so gemeint war. Dann ist dieser heilige Begriff der romantischen Liebe da drin, da gibt es ja auch nicht wenige Feministinnen die sagen, dass sei der letzte Sargnagel des Patriarchats gegen die Frau. Das sind alles interessante Fragen, wenn man die Figuren ernst nimmt. Das werden wir tun, obwohl es damals kein Erfolg war, weil es nicht eindeutig als Tragödie durchging. Wir hoffen, dass wir genau an der Stelle Funken daraus schlagen können.
Aber wer will heute noch brennende Romantik?
Und gibt es eigentlich noch Liebeskummer – wenn ich mich alle 11 Minuten verlieben kann? Sind das noch Werte? Diese Fragen sind Teil unserer theatralen Untersuchung des Stoffs, weil wir mit Distanz zu dem Material umgehen werden. Da kann es durchaus sein, dass wir uns so Brechtsche Fragen stellen und uns neben die Figuren stellen und in der dritten Person fragen: Warum macht die das? Warum haut die nicht einfach ab? Wo sind die Zwänge?
Und immer noch reichen Fake News für die Dumpfbacke Ferdinand?
Tatsächlich ja. Aber die interessantere Frage für mich ist – auf heute bezogen: Es gibt denjenigen, der die Fake News verbreitet, aber es gibt auch den, der die Fake News glaubt, und wo nur ein Funke genügt, um etwas in Brand zu stecken. Da kann man bei dem Ferdinand durchaus beleuchten, wie der sich eigentlich aus dem System seines Vaters entfernen will. Oder nimmt der zwar einen großen Anlauf, bleibt aber letztlich in dem System drin. Und möglicherweise checkt die Luise, dass der gar nicht wirklich etwas Neues mit ihr anfangen will, sondern dass alles nur ins System implementiert werden soll.
Und Luises Vater?
Die intensive Beziehung zu seiner Tochter ist ernst. Da ist ein Vater, der seine Familie schützt. Ganz blank. Gleichzeitig sehen wir, wie er sagt, er habe das Hausrecht. Das, was der Fürst fürs Land hat, das gilt für sein Wohnzimmer. Und wer sich hier im Wohnzimmer daneben benimmt, den schmeiße ich raus. Was also das System in der Mitte zusammenhält, wie die Nabe im Rad, ist nicht sichtbar, aber die Mechanik der Macht wird gezeigt, weil jeder den Fürsten in sich trägt. Wie weit der Vater mit seinem moralischen Druck – da hat der Schiller sich natürlich am Odoardo, dem Vater aus Lessings „Emilia Galotti“, orientiert – diesen Selbstmord von ihr abwendet und ob da eine Schuldhaftigkeit rauszulesen ist, das werden wir – der Matthias Heße spielt den Vater – in den Proben herausfinden. Ich sehe mich im Moment als Regisseur auch als Wächter über die Figuren und als Beschützer. Weil Schiller die Figuren, um etwas zu erreichen, teilweise ein bisschen unter Wert verkauft. Ein gutes Beispiel dafür ist die Frau von Miller, die als einzige gar keinen Namen haben darf, sondern nur Frau heißt, irgendwie unter die Räder kommt und plötzlich nicht mehr da ist. Sie hatte ja die Funktion als Kupplerin und verschacherte die Tochter, damit mal was Besseres aus ihr wird. Da hätte sie auch was von gehabt. Da haben wir einen kleinen Kniff angewandt: Diese Mutter ist doppelt besetzt: Elisa Reining spielt gleichzeitig die Milford. Man hat ja den Eindruck die Mutter ist schärfer auf den Ferdinand als die Tochter.
Gibt es ein neues blutiges oder unblutiges Ende am Schluss?
Gute Frage – die stellen wir uns auch. Auch wenn die Zuschauer das sicher nicht sehen werden, ist auch hier der Weg der Aneignung der Rollen durchaus ein brechtscher. Ist das veränderbar? Gibt es eine Alternative? Müssen wir uns dem Diktat des Frauenopfers von Schiller unterwerfen? Da sage ich erstmal nein. Was uns im Moment assoziativ hilft, ist das 20. Jahrhundert. Da begegnet uns eine Ich-Erzählerin aus dem Roman von Ingeborg Bachmann, „Malina“. Die sitzt überwiegend in einer Wohnung; da ist eine andere Person noch drin, nämlich Malina, ein Mann. Im Zuge dieser merkwürdigen Geschichte hat man den Eindruck, dass in der Beziehung zu dem Mann ein Abarbeiten am Vater stattfindet, ähnliche Strukturen, wie wir die hier auch haben. Die Erzählerin schiebt ihre männlichen Aspekte auf die Figur Malina weiter und die weiblichen Aspekte werden immer weniger. Dann sieht sie einen Riss in der Wand und durch diesen Riss in der Wand verschwindet sie. Dieser Gedanke, dass sich eine Figur in verschiedene Aspekte aufspaltet, ist im Moment für uns in der Arbeit Assoziationsmaterial. Bleibt Luise gar kein anderer Ausweg als in den Freitod zu gehen? Da würden wir heute fragen: Ist die Frau vielleicht depressiv und sollte sie Medikamente nehmen? Aber wenn wir eine offensivere Luise annehmen, wie würde die mit der Situation umgehen?
„Kabale und Liebe“ | R: Ulrich Greb | 16.2.(P), 22.2. je 19.30 Uhr, 24.2. 18 Uhr | Schlosstheater Moers | 02841 883 41 10
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