Es war eine dieser Veranstaltungen, die den Teilnehmenden offenbart, dass sie überraschenderweise eigentlich alle Ähnliches wollen. Am Freitag, den 19.04., traten an der Ruhr-Universität Bochum Vertreter aus Landes- und Hochschulpolitik jeweils mit dem Vorsatz an, die eigene Meinung zur Latinumspflicht für Lehramtsstudierende darzulegen und gegebenenfalls argumentativ zu verteidigen.
Wer selbst einige Jahre an der Universität verbracht hat oder Lehramtsstudierende persönlich kennt, weiß, dass das Thema Latinum stets emotionale Wellen schlägt. In NRW müssen Lehramtsstudierende ohne Latinum aus Schulzeiten, die Anglistik, Romanische Sprachen, Theologie, Geschichte oder Philosophie studieren, diese Prüfung nachholen. Drei Semester sind dafür veranschlagt, am Ende steht eine Prüfung der Bezirksregierung. Bei zweimaligem Nichtbestehen ist der Kandidat für eine Latinumsprüfung und damit für das Lehramtsstudium gesperrt. Davon abgesehen, dass aufgrund der Bologna-Reform das Studium zeitlich zu straff gestrickt ist, um eine komplizierte und aufwändige Sprache wie Latein in die Regelstudienzeit zu pressen, sehen viele Studierende nicht ein, weshalb sie Caesar, Cicero und Seneca im Original lesen und grammatikalische Phänomene erläutern können müssen, wenn sie mit ihren Schülern doch nur den im Lehrplan vorgesehenen Aufbau der griechischen Demokratie kurz durchgehen werden. Sage das Latinum überhaupt etwas über die Befähigung eines Lehramtsanwärters aus?
Studierendenschaft und Senat der Ruhr-Uni kamen daher überein, dass die Latinumspflicht wie in anderen Ländern abzuschaffen sei und fanden volle Unterstützung bei der Landesregierung. Aber eine große, unbeugsame Partei leistete immer noch Widerstand. Das Lateinische schule das argumentative Denken, hieß es seitens der CDU. Dass der Widerstand allerdings ein erbittlicher ist, zeigte die Podiumsdiskussion zum Thema Latinumsresolution. Parteienvertreter sowie die Vertreter der Hochschule waren sich über die Wichtigkeit lateinischer Kenntnisse für das Studium besagter Fächer allesamt einig, wie auch darin, dass der Umfang zu reduzieren sei. Professor Reinhold Glei vom Lehrstuhl für Klassische Philologe wies auf den Nutzen des Lateinischen hin, da Kultur- und metasprachliche Kompetenzen erlangt werden. Die jetzigen Anforderungen seien allerdings weder zeitgemäß noch zielführend. Grundkenntnisse des Lateinischen erachte er für Lehramtsstudierende dennoch weiterhin für notwendig, besonders wenn man lateinische Dialekte (Romanische Sprachen) erlerne und später vermitteln wolle. Christian Haardt von der CDU zeigte sich ob der gemäßigten Haltung, die auch von SPD, Grüne, Studierenden und Gewerkschaft vertreten wurde, überrascht, sah er sich zuvor doch der generellen Abschaffung des Lateinischen gegenübergestellt. Eine Modifizierung der Lateinanforderung sei in der Tat zu unterstützen. Nachdem so der Veranstaltung überraschend die Schärfe genommen worden war und auch die meisten anwesenden Studierenden trotz ihrer negativen Erfahrungen mit den Latinumskursen die Notwendigkeit von Grundkenntnissen zugestanden hatten, bleibt noch die Frage „Quando vadis, Latinumspflicht?“ im Raum. Dass sich die Politik in der Frage zügig einig wird und diese nicht durch zig Expertenrunden zu Tode diskutiert, bleibt für die Studierenden, die ganz offensichtlich zeitnah in den Schuldienst einsteigen möchten, zu hoffen.
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