
Oppenheimer
USA 2023, Laufzeit: 181 Min., FSK 12
Regie: Christopher Nolan
Darsteller: Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr.
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Überwältigendes zeitgeschichtliches Drama
Wenn Sterne sterben
„Oppenheimer“ von Christopher Nolan
Es ist – natürlich ist es das – ein Paukenschlag, dieses neue Leinwandkapitel von Christopher Nolan. Ein historischer Stoff, wie zuletzt sein Kriegsdrama „Dunkirk“ von 2017, in dem Nolan entlang dreier, parallel montierter, unterschiedlich gedehnter Zeitintervalle von der spektakulären Evakuierung eines britischen Korps‘ aus dem von Nazis besetzten Dünkirchen erzählte. Dramaturgisch verirrte sich der Londoner Regisseur dabei etwas in den arg selbstzweckhaft wirkenden Zeitspielereien. Aber das Spiel mit Zeit, mit Struktur oder mit Dimension gehört eben dazu bei Nolan und macht den Regisseur aus, der seine Zuschauer*innen mit Werken wie „Memento“, „Inception“, „Interstellar“ oder „Tenet“ begeistert und fordert zugleich. „Oppenheimer“ nun springt zwar munter durch die Zeitebenen, und doch wirkt er dabei geradezu stringent gezurrt. „Oppenheimer“ ist ein einziger 180-Minuten-Sog. Was uns Rezipient*innen indes bei diesem epochalen Drama tatsächlich fordert, ist ein ganz anderer Zeitfaktor: Der Sprung des abgebildeten historischen Geschehens ins Hier und Heute, dorthin, wo wir diesen Film rezipieren. Ins Kino des Jahres 2023. In eine Zeit, in der wieder fleißig die Angst vor der Atombombe geschürt wird. Nolan erzählt uns von ihrer Entstehung.
Hauptverantwortlich dafür ist der us-amerikanische Physiker Julius Robert Oppenheimer (1904-1967). Bemerkenswert verkörpert von Cillian Murphy, dem unter Nolan bisher stete, aber nur vergleichsweise kleinere Auftritte vergönnt waren („Batman Begins“, „Inception“, „Dunkirk“). Oppenheimer: Ein Genie, der getrieben ist von seinem wissenschaftlichen Ehrgeiz. Der die Quantenphysik von Europa in die USA bringt. Der politisch engagiert ist, sich als progressiven Demokraten einordnet und kommunistischer Unterwanderung verdächtigt wird. Liebhaber, Familienvater. Der Mann, der Neuronen spaltet. Dem das Militär eine ganze Stadt in Los Alamos baut, die er mit Wissenschaftlern und ihren Familien besiedelt, um dort die Atombombe zu finalisieren. Zu forschen, zu bauen, zu testen. Unter dem Wagnis eines Restrisikos, nach dem, wenn alles schlecht läuft, die Spaltung der Neuronen in unendlicher Kettenreaktion direkt dem ganzen Planeten den Garaus machen.
Gespaltene Neuronen, gespaltene Persönlichkeit: Oppenheimer fertigt die Waffenvernichtungswaffe, damit die Nazis sie nicht vor ihm entwerfen. Und er wohnt nach getaner Arbeit zerrissen auf dem Abstellgleis bei, wie seine Schöpfung über 200.000 Japanern den Tod beschert.. Er ist seinen Entscheidungen nicht gewachsen. Oppenheimer ist politisch, aber er ist kein Politiker. Er hat zu viel Skrupel. Als er sich gegen die nächste Superbombe, die Wasserstoffbombe, ausspricht und für Rüstungskontrolle stark macht, sägt man ihn ab.
Nolan verknüpft scheinbar assoziativ, tatsächlich dezidiert konstruiert die relevanten Lebensabschnitte Oppenheimers. Surreal durchsetzt von lynchesken Bildern wabernder Materie und Neutronensternen, von Halluzinationen und visualisierter Wahrnehmung seines Protagonisten. Flankiert von Ludwig Göranssons („Tenet“) allgegenwärtiger, sagenhafter Musik, die sich, fokussiert auf die Violine, mal zahm, mal schmerzhaft zerrissen über das Nolansche Spektakel legt, es zusammenhält.
Nolans „Oppenheimer“ ist eine Erschütterung. Atemlos. Ein Rausch. Ein Leinwand-Must.
Noch nie war der Regisseur seiner Hauptfigur so nah. Wie Oppenheimer ist Nolan hier politisch, aber kein Politiker. Denn im Hintergrund wird Oppenheimer durch den Wasserstoffbefürworter Lewis Strauss (Robert Downey Jr.) politisch zugesetzt, was in der letzten halben Stunde dieses Films gipfelt. In einem ausgedehnten Epilog, in dem Oppenheimer in einer aberwitzigen geschlossenen Anhörung, einem Scheingericht ohne Beweispflicht, einem Prozess, der kein Prozess sein will, der Prozess gemacht wird. Finale einer Kettenreaktion – das Motiv, das dieses Werk durchzieht. Von der Neuronenspaltung bis zu politischer Intrige. Ein im Übrigen durchweg männlich geprägtes Motiv – dem Nolan mit Emily Blunt als Oppenheimers Ehefrau Kitty eine gewitzt schlagfertige Figur auf Augenhöhe entgegenstellt. Toxische Männlichkeit als Motor und Verderben. Die sich auflädt, abfärbt und unaufhaltsam unkontrollierbar vermehrt. Bis sie in der Atombombe gipfelt – und in deren Einsatz. Ein Motiv, das sich noch weiter spinnen lässt. Von Kubricks Knochen bis hin zur Massenvernichtungsbombe bis Truman bis Putin – eine unkontrollierbare, toxische, männliche Kettenreaktion. Good Night, and Good Luck.

Echt. Kino.
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